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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Allerniedrigste.
    Im feinen Hause Ganymed hat über so ideelles Bemessen der Fleischtopf gesiegt, zu dessen Verächtern selbst Gabriel Flair nicht immer zählte. Herr Moeller suchte sich Herrn Bick mit unvollkommenem Mundwerk als Hebezeug zu erklären, Herr Bick sich unvollkommenen Mundes Herrn Moeller als freisinniger Tiersanitäter. Friederike M. und Adele B. tauschtensich über einen verwandten Knabensopran aus und über die Verwandtschaft von Flöte und Oboe. Ronald Slickmann wurde mehrfach vermißt und Jochen Bantzer einfach begrüßt, als er seinen Stuhl zu unseren Stühlen rückte. Jedesmal, wenn ich zu Fedia hinübersah, die in der Bluse der Deutschen Volkspolizei so zwischen Gabriel Flair und Friedrich Moeller an der Tafel saß, daß alle Pracht vom Ganymed verblaßte, bemannte mich zwischen Suppen und Saucen ein Sinnenschwall aus schierer Epochenkraft, doch zum Glück für Lokal und Gesellschaft und nicht zuletzt für mich, der ich mir nie mehr als einen Schemelausbruch pro Tag erlaubte, hielt ich es auch an diesem so und saß artig bei Tisch.
    Seitdem sind andere Tage gekommen und gegangen und nicht an allen waren meine Freundin Fedia und ich in einen Käfig aus Anstand, Rücksicht und Gesetzen getan. Aber angetan von einander waren wir und haben dies eines dem anderen nie verhehlt. Nehme ich es, wie sie es mich wissen ließ, stand zwischen uns nur, daß sie Generalin werden wollte. Oder ein General stand mit trennender Wirkung zwischen uns. Der General, wie Ronald ihn unbedacht nannte, als er für Fedia und mich den Eiskarren Josef Stalinskis ausborgte. Oder die Generäle standen dort und bewirkten solches. Oder deren Präsidenten.
    Wovon ich mir nicht träumen ließ, als wir ein Kunststück diskutierten, das übrigens, als sein Verfasser auf seinem Rückzug aus der Kunst in die Institutionen längst Dramaturg bei der DEFA geworden war, unter dem Titel Anderes Licht doch noch zur Aufführung kam. Nicht in solchem Maß ließ ich es mir träumen, daß ich die Normen hätte erkennen können, nach denen unsere Verhältnisse für eine historische Weile bewertet wurden. Von wegen Tisch und Bett und eigner Herd und Nur das Ich ist das Wirkliche , von wegen Schweizerdegen und General, von wegen Woduhingehst, von wegen op eewig ungedeelt. Wir waren gedeelt und bekamen unser Teil. Indem wir einander verloren.
    Und indem wir austeilten. Wir und besonders ich. Ich war weiter bei Moeller & Moeller tätig, als ich zwar unmöglich Friedrich und Friederike als Genossen betrachten konnte,wohl aber Genossenschaftliches zwischen ihnen und mir für möglich hielt. Ich habe ausgeteilt, indem ich ihnen zuzureden suchte. Es wurde unser Unglück, indem es ihr Unglück wurde. Ich war weiter bei Moellers, als ich erfuhr, wie die Hölle ist. Indem Jochen Bantzer anrief und sagte, ich sei Fedia los. Wir seien sie los, ich wisse, wie er das meine. Nie vorher wußte ich etwas so genau und glaubte es so wenig. Ich glaubte Jochen nicht, da er immer log, doch ich wußte, daß er diesmal nicht log. Weil er über Fedia nicht gelogen hätte. Ich lernte Vergeblichkeit, indem ich bei uns und bei den anderen nach einer Polizistin fahndete. Bei uns sprachen sie zu mir, als sei ich der Verschwundene. Bei den anderen sprachen sie mit einem wie mir nicht über Verschwundene. Ich erfuhr von deutscher Einheit, indem sie hier wie dort sagten, die Sache, die meine wie keine war, sei nicht meine Sache. Zugleich erfuhr ich, daß wir die Einheit längst nicht hatten. Als ich von einer Volkspolizistin zu sprechen suchte, hörte ich, was mein eines Volk und mein anderes Volk, soweit sie sich von mir sprechen ließen, über Polizisten und Volkspolizisten dachten.
    Ich war weiter bei der Firma Moeller & Moeller, diente dem privaten Hause tagsüber für mein Brot, hatte abends bei der Firma Brecht & Weigel meine begeisterte Not, wenn die stumme Katrin und ihre lauten Brüder ums Leben kamen, empfand im Kunsthaus Brecht & Geschonnek entgeisterte Lust, wenn der Förster der Gräfin sang, er diene ihr ja für sein Brot, schrie manches Mal – so war alle Welt, so war auch meine – grad wie der Feldprediger: So ist die Welt und müßt nicht so sein!, schrie es laut und lautlos, wenn ich an Fedia dachte, brachte aus mehrfachem Kreidekreis den schneidenden Satz Er hustet! unter die Leute und dachte mir aus, wie meine Freundin Fedia gelacht hätte, wenn ich vor ihr die Weigel als kaukasische Gouverneurin zu geben versuchte. Aber Fedia ging hinter den Vorhang, der

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