Okarina: Roman (German Edition)
mittelgroßen Tische schob, seiner Hosentasche einige Papiertaschentücher entnahm, mit deren Art Frau Moeller bereits zu Ronalds Botenzeiten die Firma Moeller & Moeller versehen hatte, den Zellstoff zwischen die Zähne schob und gleich darauf den Tisch zwischen diese. Dann hatte Archimedes wieder statt im Schriftenkünstler Moeller, säulengleich fußten die Beine des Gewerbetreibenden auf Brettern, welche den Probenplatz vom Neuzeittheater bedeuteten, schrägseilähnlich hielten seine Arme, die der Kraftableitung wegen in den äußersten Fingerspitzen unerheblich zitterten, die Maschinerie aus Mensch und Möbel in der Balance, lastbaum- undkranhaft schwenkte meines Unternehmers quadratischer Körper den theatereigenen Tisch vor theatereigenem und theaterfremdem Publikum, und der Artist wußte anzuzeigen, die gleiche Übung lasse sich mit der nämlichen Eleganz von ihm haben, wenn seine Zähne dabei anstatt in westlichen Zellstoff in mittelöstlichen Damast bissen, in ein frisch gestärktes Schongewebe aus altweißem Leinen, in Decklinnen auf reich bestellter Tafel, in einen kostbar verhüllten Eßtisch, der mit silbernen Löffeln und Meißentellern beladen wäre sowie einer bauchigen Terrine, jenem familiengroßen Traditionsgefäß, in dem sich die goldrandumgrenzte goldene Brühe sacht bewegte, als wohnten ihren so mobilen wie konzentrischen Kreisen stechlinverwandte Kräfte inne. Dies gezeigt habend, stellte Friedrich Moeller den Tisch wie die nichtigste aller Sachen aufs Podest zurück. Im Abgang hob er die Taschentücher aus Papier prüfend vor sein Auge, ehe er sie in der Hosentasche barg. Ob solcher Wirtschaftlichkeit wegen, ob wegen der künstlerisch placierten Hebeübung, Friederike Moeller nickte zufrieden. Meine Freundin Fedia, meine Freunde Bick, die konträren Damen und die jungen Schnäbler wie auch ich taten ihr gleich. Den Genossen Winifred hatte es tief in die Bedenkzeit verschlagen, den Verfasser Flair noch nicht aus dem Scheintod geholt, und von der Tür sprach ein frech verzögerter Jochen Bantzer aus Jüterbog beziehungsweise Westberlin: »Sie, wenn Sie dabei nun noch die Mundharmonika bliesen!« Dann erst und ohne zu behaupten, ein ähnliches Akrobatenstück habe ihm der anfangende Karajan einmal im Stadtkeller von Jüterbog vorgeführt, zog sich Bantzer zurück. Aber Josef Stalinskis früheren Fuhrmann, der Ronald Slickmann hieß, konnte ich die Fuhrmannshände zum Beifall heben sehen, und seinen sächsischen Ruf: »Oder die Okarina!« hörte ich oder meinte ich zu hören, ehe er in einem allgemeinen Applaus unterging, an dem der Genosse Winifred ebenso herzlich wie führend beteiligt war.
Was alles erklären sollte, warum ich einen theatergeschichtlich verbriefbaren Ausgang der Bühnenprobe und Kunstdebatte nur in Ausrissen liefern kann. Selbstredend weiß ich, daß meine Freundin Fedia den Genossen Winifred fragte, obmit Herrn Moellers Muskelspiel die Essenz der Epoche in ein gültiges Bild gezwungen sei. Auch weiß ich, daß seine Antwort etwas dürr nach Vertagung klang. Ronald verschwand, ehe ich ihn um ein Urteil über die Posse bitten konnte. Oder fragen, ob er wisse, wie Bantzer dort hingekommen sei. Oder was die von mir in seinem Munde unvermutete Okarina gesollt habe. Weil Fedia keine Zeit blieb, mit mir an meinen Herd zu fahren, stimmten wir freudig und verdattert zu, als Friederike Moeller ins Ganymed lud. Zu feiern gebe es den Sieg über einen Irrtum, sagte sie. Immer habe sie ihres Mannes Beißerei als gewerbewidrig brotlose Kunst angesehen, doch sei sie eben mit einem Herrn aus Herrn Winifreds Begleitung ins Gespräch über Kommanditisches und Komplementäres gekommen, und da führe ihres Vermutens, falls es bedauerlicherweise mit dem Kapitalistischen nichts werden sollte, man aber das Kommunistische vermeiden wolle, womöglich ein gangbarer dritter Weg.
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Ich werde überlegt haben, ob ich mir erlauben könne, das unmögliche Wort zu beschweigen, denn es war der dritte Weg eine luziferische Vokabel, bei deren bloßem Anklang jeder Genosse unters Gewehr zu treten hatte. Vermutlich sagte ich mir, es sei jedoch ein qualitativer Unterschied, ob eine Unternehmerin oder ein Unternommener das diabolische Dritte zu erreichen suche. Wenn Friederike Moeller eine Position zwischen sich und mir anstrebte, sei das etwas anderes, als wenn ich mich auf eine zwischen ihr und mir begäbe. Frau Moeller würde es vom Niederen zum Höheren tragen, mich aber vom Höchsten ins
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