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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Buchten zwischen Fontenay und Schwanenwik hätte gleiten dürfen mit nichts als deutschen Hexametern, verwegenen Partizipialkonstruktionen und dem Tagessatz vom Lombardzins im hocherhobenen Haupte.
    Was verständlich machen sollte, warum ich die Ohren spitzte, als das Radio unversehens von der verwinterten Außenalster berichtete, oder warum ich in Schwingungen geriet, als Gabriel Flair beim Versuch, Ronald und mir die Beschaffenheit seines Vaters an einem Beispiel zu zeigen, überraschend die Hamburger Lombardsbrücke erwähnte.
    Wobei ich mich frage, wieso ich Flair um seinen Vater beneidete, ohne ihn umgekehrt neidisch auf meine Mutter zu machen. Denn die hat ähnlich flüssig wie sein Vater von der nämlichen Brücke gesprochen, wenn sie erzählte, wie sie mit mir als Schlittenbündel das Alstereis des Jahrhunderts befuhr, un as wi dor henkämen, weern all hunnerddusend Lüd dor. Über den zertrampelten Rasen habe sie mich und den Schlitten gezerrt, weil die Außenalster trotz der hunderttausend eisfahrenden Leute mehr Platz zu bieten schien. Erst später sei sie mit mir zur Binnenalster gewechselt, von der es beruhigend hieß, dort reiche das Festgefrorene bis auf den Grund. Im denkbaren Fall, meine Mutter und Flairs Vater wären in ein Gespräch über Alster und Eis und Lombardsbrücke gekommen – denkbar, weil sich schließlich die Söhne auch getroffen haben –, hätte sie, wenn nicht bei Lombard, so doch bei Napoleon und Königin Luise mithalten können. Und es bei Gott getan. Wie ich verwandtschaftshalber mitzuhalten pflege, wenn derart anregende Reden gehen.
    Eine verhängnisvolle Eigenschaft, die mich unter Mitwirkung des Zutreibers Flair geradenwegs in die Fänge des Kommunikationsforschers Niklas trieb. Der Rest seines Lehrbereichs war gegen meine Talente gemacht. Mathematik, Logik, Informatik, Kybernetik; was gingen die einen Schweizerdegen an? Und hatte der überhaupt Abitur? Hatte er so gut wie. Eine Art Partisanenabitur. Weil eine Polizistin es zum Sympathiebeweis erklärte, daß er auch ihre Lesefrüchte mit ihr teile. Wofür er sich mit dem revanchierte, was er in den Seminaren an der Rakowiecka und in der Gęsiówka zusammengerafft und mit Hilfe der hauptstädtischen Abendschule geordnet hatte.
    So gut wie, sei nicht gut genug, sagte Niklas. Er halte in vielen Stücken auf bürgerliche Bräuche und teile die systemübergreifende Liebe zu Titeln und Stempeln. Bringe ich die Matura,deichsle er die Matrikel. Vorausgesetzt, ich bestehe ein informelles Examen, das hiermit beginne: »Nennen Sie die Nachrichtenmittel, denen Sie auf einer beliebigen Stadtstraße begegnen können.«
    Einmal, dachte ich, wirst du auf einen der Demokraten treffen, von denen man dir immer gesprochen hat. Aber als mir Kommandant Niklas den Rücken kehrte und sich in seine Papiere verlor, berichtete ich gehorsam, was sich auf der Straße zeigte, die ich mir vor Augen hielt. Ich sagte nicht, wie studiert ich darin war. Sagte nichts von des Gefangenen Übung, genau hinzusehen, wo er nicht sprechen darf. Ich sagte es schon deshalb nicht, weil Flairs Pritschenkumpel davon alles wußte.
    »Straßenschilder, Wegweiser, Verkehrszeichen, Haltestellen, Feuermelder«, sagte ich, das heißt, ich kramte es langsam hervor. »Telefonzellen, Kabel, Briefkästen, Briefschlitze. Litfaßsäulen, Reklametafeln, Gedenktafeln. Hausnummern, Türschilder. Klingelknöpfe, Gullymarken. Fahrbahnmarkierungen, Firmennamen. Alle Arten von Fenstern. Und Fensterspiegel. Und Autonummern. Und der Postbote mit seiner Tasche. Eigentlich schon die gelbe Farbe seines Rades. Oder ein Zeitungskiosk.«
    »Die Farbe ist gut«, sagte mein Examinator. Er schien versucht, sich mir zuzuwenden, unterließ es aber, weil ich, von seinem Lobe übervoll, auf weiteres aus war und auch Uniformen plus Rangabzeichen zu den Signalen zählte und Schornsteinfegerschwarz wie Bäckerweiß bei den Signalfarben eingeordnet wissen wollte.
    »Wäre das alles?«
    »Ich denke, ja. Das heißt, ein Denkmal gehörte wohl genannt. Eine Fahne bestimmt. Oder so ein Friseurbecken über dem Hauseingang. Oder der Zettel wegen des entlaufenen Hundes. Ich glaube, wenn man nicht aufpaßt …«
    »Was, wenn Sie nicht aufpassen?«
    »Dann zähle ich alles dazu.«
    »Nein, wenn Sie aufpassen, tun Sie das. Ihre Straße ist voller Signale. Solchen, die fast jeder Passant auf gleiche Weise lesen kann, und solchen, die ein jeder anders liest. Ein wenig oder sehr anders. Sie wollen sich damit befassen?

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