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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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gleichzeitig und vornehmlich aus Gründen meiner allgemeinen Existenz bei Moeller & Moeller erreichbar war, verdiente den Namen Fernstudium auch insofern, als der Gelehrte vornehmlich abgewandten Gesichts unterrichtete. Ich wollte seinen Pritschennachbarn danach fragen, ließ es aber. Wo es ging, kehrte Niklas seinen Hörern, zu denen ich manchmal zählte, den Rücken zu. Wodurch sein Vorlesen mehr ein Vorschreiben an der Wandtafel war. Ließ sich Mündliches nicht vermeiden, tauschte er die Draufsicht auf die Tafel gegen die Aussicht zur Nationalgalerie. Er hielt sich an einem Fensterknebel fest, lehnte die Stirn an den Rahmen, sah zu den Arkaden der Museumsinsel oder las verdeckte Zeichen an Spreearm und hölzernem Notbehelf der Friedrichs-Brücke und sprach über das Glas hin mild getönte und scharf formulierte Sätze, welche die Wissenschaft vom Kommunizieren zum Gegenstand hatten. An kühlen Tagen hauchte er seine Signale auf die Scheiben, und auch an wärmeren ätzte er sie untilgbar in unsere verstörten Köpfe.

25
    Anders als ich machte Ronald von den Eigenheiten unserer Mitmenschen wenig her. Darin war er wie Klein-Ernas Mutter. Was ich übersetzen mußte: »Als Klein-Erna fragte, warum die Schwäne so krumme Hälse haben, antwortete Klein-Ernas Mutter: Muscha wohl! « Er versuchte, den Satz mit seiner sächsischen Zunge zu versöhnen und verstand den Witz nicht ganz. Dafür entwickelte er einen brüderlichen Stolz auf mich und ließ es gelten, wenn ich eine Einladung ausschlug, weil ein Niklas-Signal-Papier wartete. »So soll es sein«, sagte er, »Völker, lernt die Signale! Die Arbeiterklasse meistert die Kommunikation, während unsereins mit Versuch und Fehler stümpert.«
    In bestimmtem Betracht kam er ohne alle Mühsal aus. Seine Fehler hielten sich in Grenzen, seine Versuche keineswegs.Wir sprachen nur knapp darüber, doch machten die Mädchen, mit denen ich ihn traf, fröhlich Station bei ihm und schienen auf eine amtlich eingetragene Endstation nicht versessen. Falls er sein Parteiabzeichen noch in der Hanewackerschachtel verwahrte, in seiner Hosentasche verwahrte er die nicht mehr. Er war eben ein Genosse in ganz besonderem Auftrag.
    Ich bin auf Skepsis eingerichtet, wenn die Rede auf unser Verhältnis zu Moral und Parteimoral kommt. Es wird kaum geglaubt, daß die Kommunisten, deren berühmtestes Schriftstück die Mär von der parteigeförderten Vielweiberei geradezu verlacht, eine Einmännerei oder Einweiberei für erstrebenswert hielten. Auch im Maritalen sollten Genossinnen wie Genossen, so wollte es der Parteigeist, möglichst nicht bis zwei zählen können. Woran man sieht, es gibt Codices, die nicht nur ungeeignet sind, Heuchelei abzuwehren, sondern einzig taugen, diese herbeizurufen. Mit dem parteiverwalteten antipermissiven Prinzip hatten wir uns einen Grundsatz auferlegt, der jeglichen Tartüffismus förderte. Obwohl nicht an seiner Ausarbeitung beteiligt, waren wir doch freiwillig unter sein Gebot getreten.
    Die Erklärung kommt spät, aber der Zeitpunkt ist wohlbedacht: Keine der für meine Verhältnisse geradezu tolldreisten Episoden geriet hierher, weil ich den Ehrgeiz hätte, mich als gewesenen Schwerenöter darzustellen. Ich war mehr artig als unartig, aber die Vorkommnisse gehören erwähnt, wo ich auf Nennenswertes aus bin. Die Bube-auf-Dame-und-Damen-auf-Buben-Stücke sind nicht als Belege einer Verwegenheit gemeint.
    Nicht das Ausmaß jedes Erzählstücks, wohl aber jedes erzählte Stück gehört hierher. Das Verfahren sollte auch gelten, soweit nur Erzähllust den Grund hergegeben hat. Schorsch Niklas hätte ich nichts erzählen wollen, weil er zwar Kommunikation lehrte, sie aber nicht lebte. Jochen Bantzer nichts, weil jeder Regen und jeder Wald, von denen man ihm etwas sagte, in seinem Weitererzählermund zum Regenwald aufwuchsen. Gabriel Flair wollte ich fast alles erzählen, aber nicht alles eignete sich dazu. Weil er nicht immer Bräute meinte, wenn er von Bräuten sprach. Meine Freundin Fedia verrechnete meinegehabten Bräute insofern gegen ihre gehabten Bräutigams, als beide Gruppen in lockeren Reden nichts zu suchen hatten. Lockere Rede in dieser Sache ging im Grunde nur mit Ronald Slickmann, vorausgesetzt, l’amour kam nicht als l’art pour l’art, sondern in Zusammenhängen zur Sprache. In politischen oder komischen; am besten im Verbund aus beiden. Um Lizenz wurde ersucht, und Lizenz wurde erteilt, wenn man nicht Jena und Auerstedt, sondern Waterloo melden

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