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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Sei’s drum.«
    Ich fragte mich, ob dies ein Schlußwort sei und ob ich mich äußern müsse, aber es war kein Schlußwort. »Flair hat erwähnt, daß Sie hinsehen können«, sagte der neueste meiner Lehrer und sah in seine Papiere dabei. »Weil es zu den Akten kommt, ein Auftrag: Im Vorzimmer schreiben Sie ihre Antworten auf und begleiten drei der genannten Elemente mit je einem charakterisierenden Satz. Nächste Frage: Durch welche Zeichen ließe sich die Beziehung zwischen vierundzwanzig Uhr und null Uhr wiedergeben?«
    Konnte es sein, der Mann wußte nicht, daß wir Aufnahme- und nicht Abschlußprüfung hatten? Die Beziehung zwischen zwölf und zwölf? Vorsichtig fragte ich, ob er ein und dieselbe Mitternacht meine. Also nicht 24 Uhr vom 7. Oktober und 0 Uhr vom 21. Dezember, sondern vierundzwanzig Uhr vom 31. Dezember 1952 und null Uhr vom 1. Januar 1953.
    Letztere meine er, sagte Niklas, obwohl 7. Oktober und 21. Dezember aufschlußreiche Daten seien. Von ihm aus könne ich Silvester und Neujahr nehmen und die Scherzfrage dazu, auf welche Größe sich der Abstand zwischen beiden belaufe. In Zeichen dargestellt, womit er nicht unbedingt Zeitzeichen meine. Womöglich lasse es sich als Sprung über einen millimeterbreiten Abgrund zeigen. Oder über einen mikromillimeterbreiten; es stehe in meinem Belieben. In der Schale dort lägen Lineale, Kurvenlineale, Zirkel und Stifte und ein Rechenschieber; damit habe ich freie Hand. Nicht mit dem Papier.
    Bis dahin wußte ich nicht, daß ein Rücken erheitert sein kann, aber dieser Professor wandte mir seinen erheiterten Rücken zu. Nun ja, ein Freund von Flair, was sollte man sagen? Und was zum Abstand zwischen Mitternacht und Mitternacht? Aber danach hatte er nicht gefragt. Wie Anfang und Ende in einem Stück darstellbar seien, hatte er gefragt. Am besten, dachte ich, du ziehst eine Linie und markierst den Wechselpunkt durch die Einträge 24.00 und 00.00. Am besten schon, nur hatte der Examinator viel Aufhebens vom Zeichenzeug in der Schale gemacht. Um mir ein Zeichen zu geben oder ein falsches zu setzen?
    Weil schon alles egal war, legte ich die Lineale so aneinander, daß der letzte Strich des einen und der erste des anderen einund denselben Zeitpunkt markierten, Ende und Anfang in einem waren und sehr wohl Anfang und Ende von mir als einem Durchdenker der Kommunikation bedeuten konnten.
    »Das Papier habe ich geschont«, sagte ich und verkniff mir den Hinweis, daß ich einen natürlichen Zugang zu dieser Materie habe. Mein Prüfer zeigte, wieviel er von Kommunikation verstand. Er riß sich aus seinen Skripten, warf einen Blick auf mein Arrangement und sagte: »Geht zu Protokoll. Den Kommentar schreiben Sie draußen, und nach Ihrer Matura höre ich von Ihnen. Und Sie hören von mir, was die Matrikel betrifft.«
    Die haben alle die gleiche Technik, dachte ich, Gabriel Flair und Schorsch Niklas. Aber auch der Genosse Winifred alias Huldig. Oder der Genosse Strickland. Und andere Führungspersonen. Wie der Raucher im Kreml, der unter meinen Augen auf seine Weise mit dem Übergang von Mitternacht zu Mitternacht zurechtzukommen wußte: Er hatte seine Krummpfeife zwischen den großen und den kleinen Zeiger der Kremluhr geklemmt und sie erst entfernt, als er die Zeiger Versäumtes und Vergangenes überspringen lassen wollte. Im Abgang dann hatte er, nicht zu vergessen, ein Lied auf der Okarina gepfiffelt.
    Alle diese Leute brachten mich aus dem Gleichgewicht, indem sie mir mit Unerwartetem kamen. Ein Verfahren für Führende. Von einem wie mir wurden Sätze schriftlich verlangt. Mir trugen sie auf, im Vorzimmer den Aufprall zwischen uns in Schriftform zu mildern. Dennoch, ich war in der Lehre.
    Als ich unter Blicken der Sekretärin, die meinem Papierbedarf galten, alle Signale der Examensstraße festhielt, zählte ich einunddreißig. Das ließ mir freie Hand. Ich konnte schreiben: Straßenschilder sind vornehmlich für Ortsfremde gedacht. Oder: Bei Haltestellen läßt sich zwischen solchen für Bahnen, Busse oder Taxis unterscheiden. Oder: Neben Abwassermarkierungen finden sich andere Hinweise auf das Versorgungssystem. Ich schrieb: »Von einigen Litfaßsäulen weiß ich Wichtigeres, als auf ihnen zu lesen war. Manche Gedenktafeln sind nicht an mir vertan gewesen. Meine Großtante hatte einen Fensterspiegel; den nannten wir Spion.« – Ich erfuhr nicht, obProfessor Niklas es gelesen hat. Falls ja, war auch sein Schweigen ein Signal.
    Die Zeit bei Niklas, in der ich

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