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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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wollte.
    Wie wir einmal die Neigung der Partei besprachen, ihre Mitglieder oder Politschulkader aus Gründen der Personalnot auf abwegige Posten zu schicken, begann ich eine Geschichte, brach aber ab, als ich merkte, sie werde mir von der Zunge tanzen. Ihre lose Natur, sagte ich und hörte Professor Niklas dabei aus mir reden, verlange solide Form. Ich werde sie ihm schriftlich geben und feierlich schenken; so hätten wir beide unsere Heimlichkeit.
    »Das wäre neu«, sagte Ronald und wechselte das Thema. Ich aber bewährte mich als Schweizerdegen, der eine Erzählung nicht nur aus Moeller-Schrift setzen und auf Moellers Maschinen drucken, sondern auch gehobene Form geben konnte: »Das Dorf saß behäbig, begütert am Hang der Ruhner Berge, und ich als parteischulbeauftragter und quasistaatlicher Tiererfasser war ihm eine Störung. Mich störte das nicht; mir behagte es, seit Jahren in Reih und Glied nicht bei den umzäunt Gezählten, sondern freien Zählern zu sein. Weniger argwöhnisch als die von mir Besuchten fragte ich nicht, ob mich die Deutsche Wirtschaftskommission, die mir ein Wegegeld zahlte, das in unser beider Augen gerade noch vertretbar war, mehr aus wissenschaftlicher Neugier als aus wirtschaftlicher Gier zu den viehbesitzenden Landwirten entsandte. Doch selbst ich, der ich arglos wähnte, zu ausschließlich statistischen Zwecken auf dem Dienstweg zu sein, bemerkte einmal, daß dank mir rege Bewegung in die Gemeinden kam. Wie Vögel auffliegen, wenn der Wanderer naht, flogen die Dörfler auf, sobald ich ihre Weiler betrat. Riegel schlugen, Luken knarrten, Läden klappten, Pforten und Türangeln quietschten, Peitschen, Stecken, Knüttel, Ziemer machten dummen Kühen, dummen Hühnern, dummen Schweinen und auch dummen Puten Beine, noch ehe ich meinZählerauge schweifen ließ. Lese ich von Mängeln, die immer noch herrschen, warte ich auf den Gelehrtenfinger, der an mich als ökonomische Wunde rührt. Kann doch sein, der seidene Faden ist ein Kälberstrick gewesen, an welchem dem Gemeinnutz unter meinen blinden Augen jenes Rind entzogen wurde, dessen Fehlen der Anfang unseres Elends war. Der letzte Halm breche dem Kamel den Rücken, der allerletzte Tropfen lasse das Faß überlaufen, heißt es von alters her, und in jüngerer Zeit weiß jeder marxistisch Gebildete diesen Redensarten die Redensart vom dialektischen Sprung in eine neue Qualität hinzuzufügen. Was schlau ist, da es alle Menschen, ob marxistisch gebildet oder nicht, mit Verantwortung für das Großeganze belädt. So daß ich mich zu fragen habe, ob es eine Sache meines flüchtigen Zählens war, daß sich unser Gewinn verflüchtigte. Oder ob die ökonomische Lage gar auf eine Umarmung zurückgeht, der ich mich hingab, dieweil ich Hornvieh hätte addieren sollen.
    Was die Frage zwingend herbeiruft, ob nicht eigentlich ich das Hornvieh genannt werden müsse. Und die Möglichkeit nicht ausschließt, jene mich umärmelnde Frau könne eine kämpferische Bauernrechtlerin gewesen sein. Dem Scheine nach hingegossen an mich, in Wahrheit hingegeben ans urgültige Prinzip der privaten Haustierhaltung.
    Der Altgläubige in mir erschrickt, wenn er sich denken hört: Es wäre mir egal! Der Ungläubige in mir erkennt, wie sehr es mich gekrempelt hat: Gruß und Kuß, Brust und Lust, sehr schön, aber, so tönte es einst aus mir, wo die Machtfrage gestellt ist, gelten keine anderen Fragen. Solche des jugendlichen Überschwangs oder der Geschlechterbeziehungen etwa. Bei der Nutztiererfassung war die Machtfrage gestellt, und wer nach anderem griff, stellte dieselbe in Frage. Doch tat ich das, und wohl war mir dabei. Wo mir unwohl hätte sein müssen, weil ich unser Großesganzeswohl über meinem kleinen Wohl vergaß. Was aber, wenn es kein kleines Wohl gewesen ist? Was, wenn sich kein größeres Wohl denken läßt? Was, wenn das eine Wohl das andere nicht ausschließen darf? Was, wenn kein Wohl sein kann, wo es ein Entweder-Oder in einer so nennenswerten Angelegenheit gibt?
    In der Amtsstube des Bürgermeisters jenes Dorfes in der Ebene dort, wo es nach Lübz geht, stellte ich keine derartigen Überlegungen an. Allenfalls machten sich welche in mir breit, die unbenannt bleiben wollen. Tatsächlich ließ ich Vieh vom staatlich erwünschten Zählen und ließ nur meine Wünsche zählen. Wobei sich traf, daß ich, hätte ich nicht bis drei zählen können, nicht so weit hätte zählen müssen. Unfaßbar, was sich, gerät man an eine Wohlgestalte, mit der Zahl zwei

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