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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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gegeben. »Sollte jedoch«, fuhr ich fort, »auf einem Bild von Hamburg, zeige es nun Alster oder Elbe, eine ausgefallene Fahne mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz angetroffen werden, etwa überm Eingang zum Hotel Vier Jahreszeiten , dann mußt du keinen Anachronismus vermuten, sondern die frevelnde Hand eines politischen Abenteurers.«
    Ronald musterte mich und sagte: »Die Beschreibung könnte stimmen. Lieferst du den Tatbericht?«
    Er dürfe sich lockern, sagte ich, ich habe nirgends Fahnen hingehängt, wo sie nicht hingehörten. Aber ich wüßte gern, ob er ein Geheimnis bewahren könne.
    »So kommt man unter die Retourkutsche«, sagte er.
    »In manchen Ohren könnte es wie Beichte klingen, daher dies nur für dich: Ich wäre schon sehr für ein einzig Vaterland. Nein, nicht Deutsche an einen Tisch! und zugehörige Parolen. Das ist agitatorisch nicht schlecht, aber wen würde es wundern, wenn sich plötzlich nirgendwo ein Tisch auftreiben ließe?«
    Ronald drehte zwei Gartenstühle, bis sie in der Deckung der Ausflugs-Kulisse standen. »Nehmen Sie Platz! – Also doch eine Verschwörung! Ich höre zu, und dir können weder Heimat noch fremdes Ufer von den aufständischen Lippen lesen.«
    »Das würde die Heimat nie tun«, sagte ich und erzählte ihm, was mir noch und noch durch den Kopf gegangen war: Im Falle der Einheit würde ich weder in Berlin bleiben noch nach Marne fahren, sondern mich hastewaskannste nach Hamburg begeben wollen. Was natürlich besage, ich werde nie in Marne wohnen und nie in Hamburg siedeln und vermutlich in Berlin vermodern. Weil es den Tisch, an dem wir mitzureden hätten, nicht geben werde. Er und ich dürften im Falle, es gebe eines Tages nur einen einzigen Tisch, an ihm weder Platz nehmen noch es wollen. Weil an diesem Möbel nur die anderen das Sagen hätten und niemals Leute wie wir.
    Ob ich unsere Kräfte nicht unterschätze, und wenn nicht unsere, so die der Freunde.
    Das tue ich nicht, entgegnete ich und rief im blödsinnigen Sichtschutz der Alsterkulisse, hinter der demnächst ein längst gescheiterter Aufstand verabredet werden würde, Ronald habe soeben einen wichtigen Grund genannt, warum ich meine Beine unter keinen einheitlichen Tisch bekommen werde: »Weil uns zu oft die Kraft der Freunde einfällt, mein Fuhrmann, und weil wir mit ihr wirtschaften, als sei es unsere. Weil wir in den Augen der anderen, keine Sorge, nicht in meinen, nichts als Verräter sind.«
    Anstatt uns einen Stuhl freizumachen, sagte ich zu Ronald, der den steinernen Ronald gab, würden sie uns den Lenin und den Stalin und den Thälmann und den Radek und den Sinowjew auf den Tisch knallen. Wissen wollen würden sie, was diese Russen an Hamburger Tischen zu suchen hatten. Dann würden sie unseren verwerflichen Internationalismus babylonisch auftürmen. Plus den verdächtigen Internationalismus einer gewissen Wanda und einer gewissen Danuta und einer gewissen Rosa und einer gewissen Clara. Mit anderen Worten: Die Rede käme auf meine kommunistische Vielweiberei.
    An dieser Stelle fühlte ich mich versucht wie lange nicht, den Namen, der bereits gefallen war, im Zusammenhang mit mir ein zweites Mal aufzurufen. Ich unterließ es und schwieg von Stalin aus den bekannten Gründen und auch, weil Ronald ohnehin einen schockierten Eindruck machte. »Wenn stimmt, was du sagst«, sprach er schließlich, »stimmt das mit den Toten auf Urlaub ja.«
    Ich sagte, er möge sich beruhigen, das treffe auf alle zu. Überdies stehe die Aussichtslosigkeit im Weltganzen längst nicht fest. Da laute die Frage weiterhin Wer wen? Aber in Sachen Das ganze Deutschland soll es sein! sei ich nicht nur skeptisch, sondern zu meinem grenzenlosen Grimm sicher: Daraus werde nichts.
    Gehilfe Ronald tat etwas, das wie nichts anderes seinen Alarm anzeigte. Er nahm auf dem Gartenstuhl den bewährten Kutschersitz ein und war die Ruhe selbst. Die körperliche Ruhe, in der sich abwarten ließ, was als Nächstes komme.
    Ich ließ ihn warten. Nicht aus Berechnung, sondern weil ich nicht wußte, wie ich ihm von Bildern reden könne, die seltsamMacht über mich hatten. Wie hätte ich ihm, der ein Freund und ein Räuber war, von meinem verschrobenen Heimweh reden sollen? Vom Verlangen nach einem Ort, den ich mir, nahm man es genau, zu diesem Zweck nur ausgeliehen hatte. Marne kam immer zur Sprache, wenn meine Jugend zur Sprache kam, aber die Alster und die dazugehörige Stadt waren nichts als Plätze, die ich gelegentlich besuchte. Waren

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