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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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ausgeborgte Heimat.
    Dennoch, die Bindung an den Punkt, an dem mir die Welt begann, hat gehalten. Eine verquere Sehnsucht nach ihm ist, ganz gleich, wo oder was ich war, geblieben. Ob ich im Radio hörte, zwischen Binnen- und Außenalster und neben der Lombardsbrücke sei die Kennedybrücke eingeweiht worden, ob ich in einer bewachten Kolonne über dem Weichseleis auf Warschaus Poniatowskibrücke den Stopfhammer schwang oder am mecklenburgischen Grothensee meine Hütte aufschlug und auf seinen glatten Bahnen Schlittschuh lief – der Sehnsuchtsunsinn machte sich geltend, wo immer er nicht hingehörte.
    Zum Beispiel am bzw. an den Griebnitzsee, der über längere Zeit ein Scheidewasser zwischen Ost und West darstellte, da eines seiner Ufer zu Babelsberg und das andere zu Zehlendorf gehört. Als ob es die Differenz zu betonen gelte, heißt eine Brücke dort, wo aus dem Havelwasser des Griebnitzsees das Havelwasser der Glienicker Lake geworden ist, bevor es zum havelstämmigen Jungfernsee hinüber geht, Glienicker Brücke. Oder für mich Powers-and-Abel-Bridge. Oder Gary-Powers-and-The-Great-Powers-Bridge. Oder Kain-und-Oberst-Abel-Brücke. Oder Rechtsanwalt-Dr.-Wolfgang-Vogel-Brücke mit ebensolchem Recht, wie die Autobahn, auf der ich von Iswalde nach Hamburg fahre, die Günter-Gaus-Piste heißt.
    Dies wäre eine Stelle, über Heimat und Vaterland einige weitere Worte zu verlieren. Ich nehme an, für die meisten Bewohner beliebiger Erdparzellen ist die Sache weitgehend per Paßwesen geklärt. Leuten wie Slickmann oder mir hingegen hat man zu oft einen Wechsel im Umgang mit ihrem Vaterland abverlangt, als daß sie zu Gewißheiten neigen könnten. Mich konnte man noch über alles in der Welt singen hören. Als ich erst wußte, mit welchen Folgen mein Vaterland über andereVaterländer hingewalzt war, zeigte ich mich bereit, mich von ihm abzumelden und mich jenen zu gesellen, die sich Nationalkomitee Freies Deutschland nannten. Was den polnischen Damen zu viel war. National und frei und deutsch noch dazu, das gehe über die Kräfte von unsereinem, sagten sie und rieten mir, von aller Stämmigkeit abzusehen und einer Hauptsache beizutreten, die Antifaschismus heiße und ohne Lokalkokarden auskomme.
    Wie ich eifrig dabei war, mich ins Internationale einzupassen, verfügte Stalin, mit dem mich eine gar nicht flüchtige Bekanntschaft verband, das deutsche Volk, der deutsche Staat hätten zu bleiben. Somit diesen wieder zugeschlagen, jedoch sehr auf Unterscheidung vom Altstamm bedacht, wollte ich wenigstens zum besseren Staat gehören. Oder zum besseren Land, wie einige Dichter damals sangen. Dann kam, lange nach meinem Versuch, dem Freund an der Havel vom geliehenen Verhältnis zur Alster zu reden, eine Zeit, in der mein Staat es nur ungern hörte, wenn von Deutschland gesungen wurde. Was vermutlich zu einem späteren Chorwerk beitrug, mit dem ein Teil des Volkes darauf bestand, das Volk und nur eines zu sein.
    Laut einer verbreiteten Behauptung entscheidet der erste Eindruck. Vielleicht stimmt das, denn über allem, von dem ich Ronald Slickmann am drehfreien Sonntag in der Kulisse zum Thälmann-Film erzählen konnte, weil es schon geschehen war, oder von dem ich jetzt erzählen kann, weil es seither geschehen ist, behauptet sich das Gemisch aus Kastanienrauch und Knackwurstdunst und Mandelbrand und Jamaikarum und Petroleum und lichtgebendem Karbid und kraftgebendem Kaffee und lauthalsiger Geselligkeit und weittragendem Orchestrion und einer Lust, die, wie ich später erfuhr, viele Vornamen hatte und Freß- und Sauf- und Rauf- und Sanges- und Liebeslust hieß oder auch, worauf die Handorgel wieder und wieder bestand, Waldeslust.
    Wußte mich Ronald nicht zu hindern, im Schutz der Kulisse die Waldeslust noch einmal in Wort und Ton zu fassen und als Zugabe Gefangen in maurischer Wüste liegt ein sterbender Fremdenlegionär, er sieht seine Heimat nicht wieder, er siehtseine Heimat nicht mehr! darzubieten, konnte er schon gar nicht unterbinden, daß ich von unerlaubter Sehnsucht sprach.
    Unerlaubt, ich wisse es, und doch Sehnsucht, daß er es nur wisse. Hier, mit unserem Vaterland im Rücken und einem Brandenburger Gewässer sowie Teilen der Brandlerfilmarchitektur zwischen uns und dem amerikanischen Sektor am anderen Ufer des Griebnitzsees, hier könne ich es bekennen: Eine blöde Heimatseligkeit falle mich von Zeit zu Zeit an und habe ähnlich Gewalt über mich wie die schreckliche Begier, mit der ich, ungehorsam gegen

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