Okarina: Roman (German Edition)
geltende Bräuche, bei ausgewählten Gelegenheiten über Bräute wie Witwen hergehe. Es sei ähnlich zwingend wie der unselige Redetrieb, der mich, nur weil mir etwas nicht paßte, bei unpassendster Gelegenheit auf die ungeeignetesten Schemel getrieben habe.
»Weißt du, was ich glaube, du Gehilfe vom Berater? Ich glaube, euer Bredel hat die Szene nicht wegen Brandler, sondern aus Heimweh geschrieben. Der ist nach Schwerin gezogen, weil dessen Pfaffenteich der Binnenalster ähnelt.«
»Erfinde dir nicht Bundesgenossen«, sagte Ronald. Sein sächsisches Herz jedenfalls schlage bei Mitteldeutscher Aufstand mehr für Aufstand als für Mitteldeutsch . Dann lud er mich ein, mit der Niklas-Methode nach Indizien zu fahnden, die den Hinweis von Gabriel Flair erhärten könnten.
»Und wenn er dich verulken wollte?«
»Es wäre nicht das erste Mal, aber der Pavillon ist gebaut. So genau, daß er dir Heimweh macht.«
»Dies Gerümpel macht mir kein Heimweh.«
»Aber es ist da«, sagte Ronald.
»Ja, wie das Drehbuch es will. Nur steht nirgends, daß Ulbricht es will. Weißt du, was ich glaube?«
»Darin bin ich selber stark. Sag, was du weißt.«
»Flair hat dir einen Brandler aufgebunden. Vor wem müßte der Generalsekretär der SED verbergen, daß er Brandler trifft?«
»Vorm Generalsekretär der KPdSU vielleicht.«
Für einen Augenblick richtete ich mich ein, den Kutscher eine Weise auf eine Weise pfiffeln zu hören, als blase er sie auf einem barbarischen Instrument. Für einen Augenblick riß derSchleier, der über das deutsch-sowjetische Verhältnis auch dort gebreitet lag, wo es sich um ehrliche Freundschaft handelte. Für einen Augenblick erwartete ich von Ronald, der zu dieser Stunde derart russisch dachte, daß er den Namen Adenauer wie an der Mauer oder auf der Lauer betonte, er werde der Relation zwischen Stalin und Ulbricht den Namen geben, den sie verdiente. Werde von Rukowoditjel und Pomoschnik sprechen, vom Chef, der keine Berater, sondern ausführende Gehilfen wollte, werde die Stärke Stalins benennen, die aus seinem Vermögen kam, von allem, was geschah, zu erfahren, werde ebenso die Stärke Ulbrichts benennen, die aus seinem Vermögen kam, nicht alles, was geschehen war, noch zu wissen. Den Umstand zum Beispiel, daß er fast gleichberechtigt neben Stalin im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale gesessen und über die Bewertung der Herbstniederlage gemeinsam mit IHM entschieden hatte.
Für einen Augenblick schien möglich, Ronald werde, nachdem er dem deutschsowjetischen Argwohn seinen höchsten Namen gegeben hatte, von der Diskretion unserer Freunde sprechen, die ihre Nasen in alles steckten, doch dieselben Nasen nur bei ausgewählten Gelegenheiten sehen ließen, beim Großen Empfang Untern Linden, beim Großen Gesang auf dem Gendarmenmarkt, beim Großen Gedenken in Treptow oder beim – so kann nur der Erzähler sagen, der ich jetzt bin, und konnte nicht der Erzähler sagen, der ich war, als ich Assistent des Gehilfen des Beraters des Regisseurs vom Thälmann-Film war – Gepanzerten Sowjetischen Eingriff in einen innerdeutschen Juniaufruhr, den man insofern von der mitteldeutschen Niederlage und dem Alsterfehlschlag unterscheiden mußte, als Stalin da schon nicht mehr das Sagen hatte. Wenngleich sich, und das wäre eine Ähnlichkeit, der hinterbliebenen Sowjetführung angesichts der deutschen Händel die Frage Wer wen? ein weiteres Mal mit pulverundbleihaltiger Schärfe stellte. Oder beim – wir sind wieder am Griebnitzsee, wo, während wir so denken, Stalin und sein Geist noch leben – Gerücht, die deutschen Genossen wollten in der Deckung eines eigens zu diesem Zweck inszenierten Thälmann-Films sondierende Gespräche mit verbrannten Figuren wie Brandler aufnehmen undder Parole Deutsche an einen Tisch! einen nationalkommunistischen Inhalt verleihen.
Doch endete mein Anflug, weil alle bisherige Dramaturgie gegen ihn sprach. »Mensch«, sagte ich zu meinem Freunde Ronald, »da muß sich kein Völkerlenker und kein Berater sorgen. Wer meint, diese beiden könnten sich je zum Austausch über nationale Dinge treffen, der soll gleich glauben, sie gehen übers Wasser aufeinander zu.«
Solche Vorkommnisse habe es gegeben, sagte Ronald und ließ sich gründlich überliefern, was ich Leonhard Bicks Broschüre über die KPD und deren Opposition entnommen hatte. Es sei besser, sagte ich, er lese es selbst. Weil ich nur die entsetzlichen oder lustigen Stellen behalte. Daß die zeitweilige
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