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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Genossen Ulbricht eingerichtet seien oder ob es sich bei letzterer um eine Sprachlist des Generalsekretärs handele, fragte Ronald, ob ich im behördeneigenen Fahrzeug mit ihm heimzu wolle. Bis zur behördeneigenen Garage in Lichtenberg vielleicht. Ich wollte und wurde in einen Opel Kadett gebeten, der sich aus behördeneigenen Gründen nicht in Westberlin blicken lassen durfte. Was für seinen Lenker ähnlich galt, solange er zur hochgeheimen Arbeitsgruppe Thälmann-Film gehörte.

28
    Der Bogen um den Südpol der Stadt, den wir als Meidbewegung zu Westberlin schlagen mußten, ließ uns viel Zeit. Weil Ronald aus Glauchau und ich aus Marne darin ähnliche Provinzler waren, hingen wir beide dem Glauben an, bei der DEFA gehe es zu, wie man von UFA und MGM immer hörte. Was mich fragen ließ, ob ich ihm von meiner doppelten Berührung mit Hollywood erzählt habe.
    Mein Fahrer sagte, ich höre mich nach zuviel Umgang mit Jochen Bantzer an. Das täusche, sagte ich, alles sei wahr, wiewohl manches vage wirke. Solle ich oder nicht? Er höre zu,aber ich solle nicht immer fragen, ob er zuhöre. Es reiche, wenn sein Vorgesetzter ständig wissen wolle, ob er seinen Thesen zur Theorie des modernen Aufstands folgen könne.
    Mit der einen Berührung, sagte ich, habe es nicht viel auf sich, da sie auf Fotos beschränkt geblieben sei. Fotos aus dem amerikanischen Magazin Life immerhin und aus Hollywood immerhin. Er kenne meinen Kinoknall und könne sich denken, wie hingegeben ich eine Reportage entziffert habe, die vom längsten Gang in der Filmgeschichte berichtete. Frau Moeller hatte mir das Heft gereicht, damit ich ihm entnehme, in welchem Maße woanders die Automatisierung des Druckwesens gediehen sei, während wir bei Gutenbergs Technik verharrten und Schweizerdegen-Löhne kassierten bzw. vor allem zahlen mußten. Aber sie sehe schon, sagte sie und wies auf die rückwärtige Umschlagseite des unglaublich umfangreichen Magazins, als könne sie durch hundert Seiten erkennen, worein meine Augen verwickelt waren, sie sehe, sagte Frau Moeller, mein Interesse gelte dem Frauenzimmer, das seinen Hintern in die Kamera halte, als sei deren Objektiv ein Objekt, dessen Beschaffenheit zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer aus firmensittlichen Gründen nicht besprochen werden dürfe.
    Friederike Moeller, die nicht ganz meine Mutter hätte sein können, neigte, seit ich Fernstudent bei Schorsch Niklas war, zu Äußerungen, von denen ich hoffte, sie kämen Friedrich Moeller nicht zu Ohren. Weil dessen Kraft, auch wenn er gut und gern mein Vater hätte sein können, allein in Zähnen und Kiefern reichte, einen Tisch samt Terrine und Tafelsilber so zu heben und kontrolliert zu schwenken, daß selbst ein Genosse Winifred bei Gelegenheit den Abgang vorgezogen hatte. Der Genosse Winifred, dem die Kraft der Arbeiterklasse vorhutsmäßig delegiert worden war.
    »Vorhutsmäßig?« sagte Ronald, aber ich befaßte mich mit dem längsten Gang der Filmgeschichte. »Dieser Gang, über den sich Frau Moellers Magazin in englischen Worten und deutlichen Bildern erging, sollte in einem Film stattfinden, der Niagara hieß. Ausgeführt wurde er von einer Person namens Marilyn Monroe, die mir auf den Bildern in Frau MoellersMagazin wie die schönste Person der Filmgeschichte sowie meiner persönlichen Geschichte vorkommen wollte. Zusätzlich verwirrte mich, daß die Life -Frau und ich laut Life gleichaltrig waren. »Genau genommen«, sagte ich, »stellte das Journal dieses Faktum insofern nicht fest, als es von mir in dem Artikel nicht sprach, aber ich stellte es insofern fest, als ich es bemerkte.«
    »Gut, das hast du klargestellt«, erwiderte Ronald, als wir durch Mahlow rollten, »aber ehe dies der längste Anlauf zu einer Geschichte vom längsten Gang der Filmgeschichte wird, solltest du zu ihrem gedeihlichen Teil übergehen.«
    Es werde ihm wie ein unkontrollierter Sprung vorkommen, sei aber keiner, sagte ich. Es gehöre zu meinem Bericht, und zwar an dieser Stelle, daß ich an einem 4. Juli auf einem Treppchen der US-Militärmission in Warschau saß und mich sonnte. »Mein polnischer Posten hatte mich irrtümlich zur Arbeit gebracht, und uns beiden paßte es, wegen des Feiertags keine vorzufinden. Der Zugang zum Druckereiverschlag, in dem ich Ordnung schaffen sollte, zeigte sich versperrt, und die Militärmissionare waren vermutlich zu Privatmissionen ins polnische Land ausgeschwärmt. Anstatt mich in den Knast zurückzubringen, entfernte sich mein

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