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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Bewacher, um mit der Köchin einer benachbarten Botschaft zu flirten. Während ich mich sonnte. Wobei ich ein wenig döste. Bis neben mir jemand sagte: ›My, aren’t you a skinny one!‹«
    Ich ließ Ronald Zeit, sich das mit »Mann, bist du mager!« zu übersetzen, ehe ich fortfuhr: »Was heißt jemand ; es handelte sich um eine Jemandin, wenn ich je eine sah. Mir war es gleich, daß meine Magerkeit ihr einen Ausruf entlockte; mir war nicht gleich, daß ich ihr einen Ausruf entlockte. Wenig fehlte, um auch mir einen Ausruf zu entlocken. Weil ihr zur Magerkeit an mehreren Stellen alles fehlte. Sie trug ein einfaches Sommerkleid, in dem sie sich auf natürlichste Weise eingerichtet hatte. Sie streifte die Sandalen von den bloßen Füßen, zog den Kleidsaum erstaunlich hoch und suchte einen Halt am sonnenwarmen Holz der Versorgungsbaracke. Sie lehnte an den Brettern, als liege sie auf ihnen. ›My‹, sagte sie, ›that’s almost a Californian sun!‹
    Möglich, daß die Sonne über Warschau an diesem Tag beinahe kalifornisch war. Da konnte ich nicht mitreden, ich konnte überhaupt nicht reden; ich konnte nur hinsehen auf eine unmagere Erscheinung, die wunderschöne Knie hatte. Wozu ich sagen sollte, wie erstaunlich es war, daß ich ihre Knie schön fand. Meines Erinnerns hatte ich noch nie jemandes Knie schön gefunden. Daß ich es in diesem Falle tat, war um so verwunderlicher, als die Person es im Ganzen und nicht nur zu Teilen verdiente, schön genannt zu werden. Ein Wunder an Schönheit. Ein Wunder.
    Ja, knurre du nur, aber wenn ich dir sage, ich saß weiterhin auf der Treppe und sonnte mich, beruht das auf einer Annahme. Ich werde mich ja kaum in einen Frosch verwandelt haben, als ich neben der Prinzessin auf den Stufen hockte und ihre Knie besah. Beschwören kann ich es nicht. Vielmehr müßte ich, käme Beschuldigung auf, von meiner verminderten Schuldfähigkeit sprechen. Ich war nicht darauf eingerichtet, am amerikanischen Unabhängigkeitstag neben einem sommerprallen Weib in der polnischen Sonne zu sitzen und nur zu wissen, so schön konnte eine allein gar nicht sein. Und schon nicht zu wissen, ob ich diese Feststellung mit Blicken befestigen dürfe. Oder mit einem verengten Blick, der sich auf Einzelheiten beschränkte. Die Frau war zu viel für meine Knabenaugen. Mit Bestimmtheit wußte ich nur, ich konnte nicht gut den Hansguckindieluft neben ihr geben.
    ›What’s your name?‹ fragte sie.
    ›Hans‹, gurgelte ich.
    ›I’m Norma‹, sagte sie.
    Mochte sie Norma heißen oder ebensowenig Norma, wie ich Hans hieß. Was zählte, war, daß sie mich in ein tosendes Gespräch gezogen hatte. In einen Datenaustausch von umfassendem Charakter. In Enthüllungen, denen gemeinhin andere Enthüllungen folgen. Das freilich war eine Norm, der bei meiner Begegnung mit dieser Norma unter anderem der Schauplatz des Treffens entgegenstand. Es handelte sich, wie gesagt, um das Areal der US-Militärmission in Warschau. Knäbisch gedacht oder nicht, der Rasen, den ich im Frühjahr eingesät hatte, grünte in einem Garten der Spione. Uneingeweiht, wie ich indieses und jenes war, wußte ich doch, sie schickten keine Milchmädchen als Missionare in ein Land, hinter dessen östlichem Zaun das Sowjetreich begann. Soweit es nicht schon innerhalb der staatlichen Umzäunung stattfand. Sie schickten keine Milchmänner, mochten die nun stammelnder Hans oder Milchhändler Tewje heißen, hinter den Eisernen Vorhang, der, wie ich im Mechanikerkeller der 10. Abteilung des Ministeriums für öffentliche Sicherheit der Republik Polen aus Churchills Radiomund vernommen hatte, fünfhundert Kilometer westlich von Warschau zwischen Stettin und Triest niedergegangen war. Eine Ortsangabe aus Amerika, von der ich mich fragte, ob die Vernachlässigung des Ostteils Deutschlands in ihr die Folge einer Frontbegradigung Churchills oder das Ergebnis eines Erdkundefehlers des alten Mannes war. Nein, Milchmänner schickten sie keine auf Militärmission, aber sie hatten, wenn mich auf der Versorgungsbarackentreppe nicht alles täuschte, ein Wesen aus Milch und Honig nach Polen entsandt. An meine Seite an der Bretterwand, hinter der neben Milch und Honig weitere Grundmittel darauf warteten, den Spionen während ihrer Mission bekömmlich zu sein. In Maßen war mir gelungen, dieses und jenes abzuzweigen, doch nie genug, um mich so zu gestalten, daß nicht eine erste beste Norma aus California Gründe sah, mich mit dem Ausruf My, aren’t you a skinny one!

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