Okarina: Roman (German Edition)
war, schlug es uns doch an diesem Tag auf die Ungezogenheit. Weshalb ich, wenn ich heute einem Stau auf der Bundesstraße 96 zu entgehen suche, indem ich über Comthurey und Lychen fahre, also auf kontaminierter Erde vorbei am ehemaligen Gut des Obersten Gebrauchtbrillensammlers Pohl, dankbar der Weisung Fedias gedenke, einer, dem, verdammtnochmal, der eine Mitteilungsdrang nicht genüge, solle seinem anderen angemessenere Gesprächsgegenstände suchen.
Weshalb ich später alles auf seine Tauglichkeit prüfte, ehe ich es in den Austausch ließ. My, wußten wir auszumalen, wiees wäre, wenn wir Fernsehen hätten, das die Amerikaner schon farbig hatten und die Westdeutschen bald schwarzweiß haben würden: Wir nähmen an allem teil und blieben im Bett dabei. Wir sähen wundersame Filme wie Ein Amerikaner in Paris oder Rashomon , ohne nach Tokio oder Hollywood zu müssen. Was günstig war, weil wir es ja nicht konnten. Weshalb wir das, was wir konnten, möglichst oft betrieben und nur, wenn Familienbesuch bei Bicks war, ins Kino Blauer Stern gingen, um Alarm im Zirkus oder den Untertan zu sehen. Fedia wollte im Televisor, auf den wir noch warten mußten, vor allem Modenschauen und Laufstegwunder betrachten. Zu meinem Staunen schwärmte sie von den fließenden Linien und wandernden Taillen eines Herrn Dior. Was ich zu dämpfen suchte, indem ich fließend von ihren Linien sprach und versprach, ihretwegen wolle ich weiteste Wege nicht nur wandern, sondern laufen, rennen, hetzen bis zum Gehtnichtmehr.
Nach dem Schwadronieren nahm sich wie stumpfe Stummheit aus, was ihrem Verschwinden folgte. Weil Ereignisse, die es verdient hätten, erörtert zu werden, unerörtert blieben. Die Ereignisse vom 16. und 17. Juni zum Beispiel. Sie hätten zum Stoff zwischen Fedia und mir besser getaugt als die Seiden von Coco Chanel.
Aus Gründen der Wahrhaftigkeit hätte ich mit der Buchhalterin, die Bescheid mit Gewinnen und Verlusten wußte, gern besprochen, wer wohl in den Aufzeichnungen vom Juniaufstand so lange radiert hat, bis von drei Männern auf dem Tisch vorm Haus der Ministerien zweie verschwunden waren. Die Gründe meines Wissensdurstes hätte ich nicht nennen müssen. Weil Fedia meine Geschichten kannte und ich ihr von der Verwandtschaft zwischen jenem Tisch und diversen Schemeln, auf die ich gesprungen war, nicht reden mußte. Sie wußte, daß ich wußte, wann ich auf der Höhe gewesen war und wann nicht. Auf einer Höhe, die manchmal idiotisch genannt werden mußte. Und auch wurde.
Eines Tages aber ist die polizistische Person, die mir die liebste der Liebsten war, selbst in der Zeitgeschichte verschwunden. Ohne ein erhellendes Wort für ihren Zeit- und Tisch- und Schwatzgenossen. Ohne Hinweis, der zur Aufklärunghätte beitragen können. Selbst den Bescheid hätte ich ertragen, sie habe bereits im Falle des Reichsvernichtungslagerhauptbuchhalters Oswald Pohl aus dem mecklenburgstrelitzischen Comthurey, einem Dorf, das unweit von Hohenlychen und unfern vom havelnahen Ravensbrück gelegen sei, ihrer Abneigung gegen meine Neigung Ausdruck verliehen, von allzu nahe liegender und allzu blutiger Zeitgeschichte selbst bei unpassendster Gelegenheit zu schwatzen.
Sie ist fortgegangen, ehe ich sie mit den Gesichten bedrängen konnte, zu denen ich zunehmend neigte. Mit der Vorstellung von dem, was uns eines Tages geschehen könne, falls wir trotz Stalins Tod auf Fragen des Leninismus nur Stalinsche Antworten wüßten. Was jedoch bedeutet, sage ich zu anderer Verständnis und meiner Beschuldigung, daß ich meine Mitteilsamkeit nicht nur gegenüber Fedia hätte entfalten müssen.
Ich bin überzeugt, hätte sie mich auf dem Zettel, der allenfalls in Pidgin-Jüterbogsch von Abschied sprach, wissen lassen, es ziehe sie dorthin, wo Madame Coco ihre Seiden spinne und Monsieur Dior seine Linien ziehe, und weder meine unscharfe Taille noch meine Schwarzschwätzerei könnten sie länger an meiner Seite halten, wäre ich beleidigt gewesen und hätte sie vergessen.
Sie ist aber ohne kränkendes oder klärendes Wort gegangen, und ich habe zusehen können, wie einer zurechtkommt ohne sie. Nichts gegen Slickmann, Flair und Niklas, nichts gegen die Moellers und die Bicks, nicht einmal etwas gegen Jochen Bantzer, aber sie alle machten, von aller Ungezogenheit zu schweigen, meine Freundin Fedia in keiner Hinsicht wett. Wohl wahr, Ronald konnte an mir seine relative Verschwiegenheit üben. Wahr auch, der Große Dramaturg deutete mir die Bretter von
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