Okarina: Roman (German Edition)
durch, um mir auf ein Vergehen zu kommen.
Es mußte mit dem Plan zusammenhängen, der ein Scherz sein sollte. Im Scherz hatte ich zu Mr. Bonsall, meinem amerikanischen Chef, gesagt, ich wisse, wie sich nach Haus gelangen lasse. Aus dem Blauen hatte ich es nicht gesagt. Ein Gespräch war vorausgegangen, in dem ich Mr. Bonsall bat, mir von Fahrtroute und Fahrtdauer der Kolonne zu erzählen, die rückfahrbereit auf dem Missionsgelände stand. Sie fege vorm Morgen los, um am Abend in Berlin zu sein, sagte Mr. Bonsall. Meine Frage, ob nicht mit zeitraubenden Kontrollen durch Polen oder Russen zu rechnen sei, beschnaubte er nur. Da sagte ich, dann müsse ich ja lediglich in eine Gepäckkiste unterm Wagenflur klettern und warten, bis draußen berlinische Fuhrmannslaute ertönten.
Mr. Bonsall, der ein Mariner bei der Militärmission war, meinte, ich solle mich beim Landgang nicht von den Posten des Konvois erschießen lassen; das seien keine besonders hellen Jungs. Ich machte einen Scherz, der die generelle Helligkeit von Posten betraf; dann wandten wir uns unserer Arbeit zu. Meine war ich am nächsten Tag los.
Kein Wort hörte ich von Mr. Bonsall, und statt Studebaker bin ich Grüne Minna gefahren. Weil es zu nichts führen konnte, ließ ich das Grübeln allmächlich. Aber verrückt, wie man ist, konnte ich mich, so oft von Mikołajczyk die Rede ging, eines Gesichts nicht erwehren, das den vormaligen Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung in London und zeitweiligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der legitimen Regierung in Warschau und nunmehrigen Republikflüchtling auf seinem Wege von Warschau nach London im Unterflurkasten eines Militärfahrzeugs zeigte, das Teil einer Militärkolonne war und pausenlos über Landstraßen jagte, bis vor dem Ohr der Exzellenz in der Kiste die Kutscherflüche der polnischen Heimat endgültig in Kutscherflüche der preußischen Fremde übergingen.
Verrückt schon, nur ziemlich wahr. Ganz ohne mein Zutun munkelte man eines Tages, dieser M. sei mit Zutun der Amis nach Westen gemacht. Ich sagte nichts und dachte mir nicht viel dabei. Bis Richmonds Buch, dem ich in Heathrow begegnet war, meine Wißbegier neu entfachte, so daß ich weiterePolen-Bücher las. Darunter Einer gegen den Holocaust , das die Geschichte des Diplomaten Karski erzählt, der allerverwegenste Erkundungsfahrten ins Warschauer Ghetto und in ein Vernichtungslager unternahm, ehe er quer durch das okkupierte Europa über Spanien nach England gelangte und seinem Chef Mikołajczyk berichtete, was den Juden von Konin und Kolo diesseits und jenseits des Umschlagplatzes widerfuhr.
Aus dem Unterflur des Textes und krächzend wie Minervas Eule flatterte folgende Fußnote vor mir auf: »Nachdem sein Leben bedroht war, floh Mikołajczyk 1947 in einem Lastwagen der amerikanischen Botschaft aus Polen.« – Natürlich wußte ich dadurch immer noch nicht, warum mich Mr. Bonsall nicht mehr in die Piękna, was Schöne Straße nicht nur hieß, sondern vergleichsweise war, zu meinen Geschäften als Schweizerdegen holte. Für eine Weile, die nie ganz endete, meinte ich allen Ernstes, ich hätte die Missionare, die Mr. Bonsall oder sonstwie hießen, mit meiner Unterflur-Phantasie auf eine mordsmäßige Idee gebracht. Und könne von Glück sagen, weil sie mich meinem Grübeln überließen. Anstatt einer Grube.
In aller Logik packte die Neugier zu; ich fragte Experten. Die hielten neueste Post bereit: Pan Mikołajczyk habe den Präsidenten Bierut derart gestört, daß er ihn mehr als gern außer Landes gesehen hätte. Weshalb er eine der Behörden, die aus höheren Wünschen verstohlene Taten machen, um Ideen gebeten habe. Ideenreich und tatenfroh ließ das einschlägige Institut dem Vizepremier aus vermeintlichem Freundesmund flüstern, Exzellenz seien arg bedroht, dafür warte im London der Exil-Premiers-Job weiterhin auf ihn. Am besten, so bedeuteten Bieruts verkleidete Boten dessen Vize-Ministerpräsidenten, er begebe sich auf Fahrt. Nach anfänglichen Unbequemlichkeiten werde es deutlich bequemer kommen.
So ging es laut Legende in einem Lastzug der amerikanischen Botschaft, dessen wahrer Lenker Bierut hieß, aus Warschau fort. Ob Unterflur, ob Oberdeck, Exzellenz Mikołajczyk sollen im Lkw an die Ostsee gereist und von Gdynia zu Schiff nach England gefahren sein. Nicht ohne simulierte Kontrollen. Tief verängstigt, doch ungefährdet segelte derPremier unterm Eisernen Vorhang hindurch aus seinem polnisch sekundären
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