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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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waren stolz, als hätten sie die Pyramiden herbeigeschleppt. Unserer wies auf einen, der seine Last auf einem Brett getragen hatte. Weil er sie per Hebelwirkung dirigieren wollte. Oder daß sich seine Haut nicht so scharf auf seinen Knochen reibe. Oder weil er den Arm nicht ganz so einknicken mußte. Oder weil er sich nicht entfremdet unters Joch der undurchschauten unerträglichen Arbeit beugen wollte. Der Tatare sagte von dem Mann mit dem Brett, er sei Ingenieur. Oder Philosoph. Leider, so sprach der Übersetzer durch die Zähne, spreche der Posten ein spezielles Russisch. Ich fragte mich, wie Ingenieur oder Philosoph auf russisch heiße. Was ein Ingenieur mit Stein und Brett zu tun hatte, verstand ich. Was ein Philosoph, verstand ich nicht. Unser Posten sah erfreut auf die Schneckenreihe, die, ein Schneck, ein Stein, immer noch ziegelbeladen heranschlich. Er sagte, er sei Usbeke. Er hörte der Übersetzung zu und deutete mit der Maschinenpistole auf ein Abzeichen. Emailliertes Metall, auf dem ich Hammer und Sichel erkennen und dessen Schrift ich nicht lesen konnte. Es bedeute etwas Ähnliches wie SS, habe der Wächter gesagt, sagte der Übersetzer. Der Usbeke wies auf sein Abzeichen und auf die Ziegel und auf die Kolonne, die herangekrochen kam und sagte etwas, das SS auf usbekisch sein konnte. Dann hieß er uns, mit einem Lied lagerwärts marschieren. Aus dem Lied ist nicht viel und aus den Ziegeln ist ein Wachhaus geworden. Aber aus dem Transportunternehmen ist insofern eine Menge geworden, als ich mich, weil die Beförderung kaum einen Extrarubel gekostet hat, da man sie mit keinem Extralöffel Suppe vergütete, seiner stets entsann, wenn ein günstiges Verhältnis zwischen finanziellem Aufwand und materiellem Gewinn in Rede stand. Wie sich verstehen sollte, daß ich meine, wenn ich von Entfremdung höre, an einem Vorgang aus diesem ökonomischen Geist beteiligt gewesen zu sein.
    Nach solcher Erfahrung, der eine mit halbierten und geviertelten Ghettosteinen folgte, machte mir die gemischte Existenz bei Moeller & Moeller kein Kopfzerbrechen. Diese Mixtur aus privater Anstellung bei Zunft und Gewerbe einerseits in einem Staate andererseits, der sich beim Sozialismus angemeldet hatte, war für eine Weile alltäglich. In mir allerdings spitzte sich die Vielfalt der Epoche zu: Ein kommunistischer Überzeugungstäter als mehrwertschaffendes Hauptelement im kleinkapitalistischen Betrieb. Ein SED-Mitglied, das wegen Abneigung gegen einige Wohnparteigenossen organisatorisch Unterkunft im Neuzeittheater fand und nach des Großen Dramaturgen Wechsel zum DEFA-Film dort hängenblieb. Untermieter, Abendschüler, Fernstudent, Gastgenosse, Junggeselle, Beinahwitwer – es lag in meinem Dasein eine Unentschiedenheit, die mir keineswegs mißfiel. Wenn meine Herkunft in sozialer Hinsicht ohne Tadel war, in geographischer jedoch von Mängeln strotzte, kam ich damit aus. Die Beschaffenheit Berlins schien für mich geschaffen. Wildwest allzeit erreichbar, Friedost für alle Zeiten gesichert. Nord, Süd, Ost, West, von allem nur das Best. Paris, ein Fest fürs Leben? Zweimal Berlin lag dicht daneben. Was an dieser Stelle als Grundbescheid über mein Verhältnis zur nachmaligen Mauer genügen muß. Soviel nur darüber hinaus: Was aus der Not eine Tugend machen heißt, sah man an diesem Plattenbau. Er war der aufgemauerte Kalte Krieg und unser schlimmstes Armutszeugnis. Wir haben uns hinter ihn geflüchtet und uns durch ihn gerettet, bis er uns erschlagen hat. An seiner entsetzlichen Geschichte gibt es nichts zu deuteln. An seiner entsetzlichen Vorgeschichte auch nicht.
    Einmal leistete ich mir die Ansicht, es müsse etwas auf sich haben oder gar beabsichtigt sein mit dem Lebensverschnitt, der mir zuteil geworden war. Doch gab ich diese Überlegung auf. Nicht ganz, wie sich ahnt. Den einen oder anderen verstohlenen Blick auf meine Erdenkurven riskierte ich, zumal ich wußte, daß meinerseits kein Zutun vorlag, als ich an äußerste Punkte geriet. Nichts in meinem Vorleben, kein Wort von mir, keine Tat war abgestellt auf die Zelle in der ul. Rakowiecka, auf die Baracke in der ul. Gęsia oder die in der ul. Piękna, in welcher die US-Militärmission, also auch die Nachhut desDonovanschen OSS bzw. die Vorhut der Dullesschen CIA ein rußlandnahes Sicheres Haus unterhielten. Zu schweigen vom Kremlquartier, in dem Stalin mir Tee servieren ließ, ehe er auf der Okarina spielte und mich bat, nach seinem Abgang seine Ideen im Auge zu

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