Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
entfernen, setze ich ihren Lobpreis fort, indem ich eines von ihnen oder beide für ein Erbteil lobe, mit dem ich mich versehen zeige in Fällen, für die sich ein kühler Kopf empfiehlt. Nicht daß ich nicht erschrecke, im Gegenteil, ich nehme es mit jedem Espenlaub auf. Doch kann ich das Zittern vertagen. Oder verstunden. Oder versekunden. Ich bin erst entgeistert, wenn Zeit dafür ist.
    In der Stunde des Marders war nur Zeit, Ordnung in Daten zu bringen. Nicht aus Detekterei, sondern zwecks Überprüfung meines Gedächtnisses, hatte der Anwalt gesagt. Sehe ich mich zur Beschreibung von Kumpanen oder Lager-Nebenleuten imstande, könne ich welche näher bezeichnen oder gar zeichnen? Wäre ich zum alten Spiel Wer, was, wann, wie, warum bereit?
    Wie ich meinen Karren durch Holstein, Mecklenburg und Mark dahinschießen ließ, ging ich ein auf das unfröhliche Spiel. Übernahm es, fragte mich und jeden nach jedem aus und ließ alle Welt hören, wer eine Antwort habe, möge sich erheben. Wir fangen mit dem Anfang an und halten uns an das, was wir wissen. Wir wissen, jener Marsch der fünfzehntausend Steine – fünfzehn, nicht fünfzig – war von Posten bewacht, die wir in anerzogener Blödheit Tataren nannten. Oder Mongolen. In unseren Köpfen war gar kein Platz für fünfzehntausend Marschierer, deren Bewacher Juden sein sollten. Wie bitteschön sehen jüdische Wächter aus? Von fünfzehntausend oder hunderttausend oder fünf Millionen gefangener Juden, deren Wächter sittenstolze Arier waren, hatten wir erfahren. Auch von dem, was ihnen durch diese Wächter widerfuhr. Es galt als Grund für die Weise, in der man sich unserer annahm. Das war aber im Augenblick nicht die Frage. Die lautete vielmehr, wann und wo begab sich der Transport, der mir später als Beispiel für entfremdete Arbeit diente? Was genausowenigzur Sache tat. Zu der tat, daß wir die Steine durch den heißen ersten russischpolnischen Sommer trugen. Zur Sache täte es, wenn sich wer fände, der von dem Marsch noch wüßte und von der Beschaffenheit seiner Posten. Gegen die Lüge besagte auch das nur wenig, doch könnte es Teil der gesuchten Wahrheit sein.
    Mit der Erkenntnis, daß ich zu fünfzehntausend Steinträgern keinen einzigen Namen außer dem eigenen wußte, begann mir ein Zeitalter der Entdeckungen, das immer noch fortgeht. Im Grunde hielt seither die Fahrt nie inne, die vor Dr. Humbert Wipfels Klosterstieg-Kanzlei an Hamburgs Alster begonnen hatte und mich weit über die fernöstliche Stadt Berlin hinaus in den mir nächsten Osten führte. Gelegentlich wurde sie unterbrochen, doch fand sie wieder und wieder statt.
    An die Alster brachte sie mich widriger oder erlösender, aber stets prozeßverhafteter Bescheide wegen; zurück führte sie vom Sievekingplatz, wo Hamburgs Richter seit jeher richten, in meine Höhlen an Dammersee und Grothensee. Wie ich den Fuhrdamm F 5 und den Gauspfad A 24 hin und her bereiste, gingen sie ineinander über, waren nur noch Verbindung, hatten nichts von Bindung mehr. Was ich nicht für möglich gehalten hätte, vollzog sich: Der Weg war einmal nichts, das Ziel nun alles. Ich führte meinen Transport nicht mehr über die stundenfressende Quer-durch-Berlin-Route, unterließ die frivolen fünfundfünfzig Großstadtkilometer vom Erkner-Rand zum Rand von Spandau, war nach beinahe gleichem Zeitaufwand schon durch die Schleife bei Wittstock, bummelte entgegen allem Verlangen nicht auf dem Weg zur Elbestadt durch die Eldestädtchen Plau und Lübz und Parchim, zu deren Seiten sich reeperbahn- und hagenbeckstarke Stücke zugetragen hatten, pfiff auf Schnakenbeks Räucherkaten und Ribbecks Birnbaum, stand auf zwischen Hund und Katz und fuhr der Sonn’ entgegen oder mit ihr, aber nicht, um recht in Freuden zu wandern, sondern weil ich Glock zehn bei Gericht sein mußte, enthielt mich jedes kulturgemuten Hinblicks aufs Herzogtum Lauenburg und jedes Blickes ins Fachwerk von Neustadt-Glewe, nahm Physis und Ideen des durcheiltenWeltstücks nur weiß auf blau zur Kenntnis und merkte einmal, daß ich taub und verstört die Kilometer fraß. Ganz ähnlich wie an jenem späteren Wintertag, an dem ich eines Eisfestes wegen die gastlich gefrorene Alster suchen und wenig gastlich finden sollte. Ich erstatte dazu Bericht, bringe aber vorher den zu Ende, der von meinen Versuchen handelt, mich auf Europastraßen an den Ort und in die Zeit einer pharaonischen Quaderkolonne zu versetzen.
    Auch wenn ich dabei wieder und wieder durch mich

Weitere Kostenlose Bücher