Okarina: Roman (German Edition)
Hinter ihm in den Kuscheln spitzen Dramatikerinnen, denen vierzigtausend Jahre Unterdrückung nichts von ihrer Frische nahmen, diese Parole zur Kampfparole Wir sind das Weibervolk! zu. Überhaupt zeigt sich Der Mensch als Weib – so heißt ein Buch jener Gehilfin Freuds, die eine Freundin Rilkes war – reich vertreten. Hätte ich jemals das Stück über Rilke, Shaw und Rodin gefertigt, das zu schreiben ich einst erwog, dürfte ich jetzt einer von denen sein, die sich auf dem Großen Grothensee versammeln wie sonst nur die Enten dort. Schließlich, so träumt mir schließlich, vereint sich die Schreiberei zum Chor aus Brechtens Mutter und schreit mir in meine Hütte: Du sollst den Vorsitz übernehmen! – Ein vielmals wiederkehrender und garstig würgender Spuk, der erst nach meiner Entgegnung weicht, die Mühen der Leitungsebene lägen hinter mir; ich wolle nur noch über den Berg.
Was mir halbwegs gelang. Man muß in solcher Lage einfach auf Übersichtlichkeit halten. So versteht mein Haushalt unter Geschirr weitgehend 1 Teller, 1 Tasse, 1 Besteck. Die Instrumente aus Zeichengeber-und-Schriftsetzer-Zeiten verschwanden im Nebengelaß. Den Kopierer schaffte ich auf den Dachboden; ich reiche mir im Original. Ein Fotolabor, das meine Folianten auf Mückengröße und mein Leben auf einen Microdot brächte, unterhalte ich nicht mehr. Wohl gibt es den Computer, aber um Notiertes oder Gedrucktes in Rechnertaugliches, also versandfertige Bits zu verwandeln, benötigte ich ein Rüstzeug, für das ich den Platz und den Nerv nicht habe.
Was den Nerv angeht, gewahre ich eine Minderung, die mir nicht gefällt. Wo ist der geblieben, der trotz aller Übungsstücke, an denen er als Hausnachbar eines verwandten Flöte-und-Bratsche-Paares teilnehmen mußte, Artikel verfaßte, diesich sehen lassen konnten? Zwar entging mir keines der Male, bei denen die beiden Studenten die Kurve nicht kriegten, so daß ihr Üben in vergnatztem Gekratze respektive kraftloser Pusterei endete, doch seit meiner Zeit im Käfig hatte mich ein Leitsatz höherer Ichbezogenheit geschützt: Lärm, der dir nich meint, soll dir nich kümmern.
Mit den Jahren verging die Fähigkeit, mich nicht erreichen zu lassen. Was erreicht mich nicht alles, und wieviel davon geht mich doch nur mit Maßen an. Dem Automobilisten werfe ich Blicke, der durch die Fußgängerzone zum Eismann rollt. Und allen, die am Kreisel reinzu statt rauszu blinken. Oder den Mitbürgern, die an Schaltern und Kassen die Diskretionsdistanz nicht wahren bzw. ihr Eingekauftes nicht mit einem besitzanzeigenden Riegel vom Gut des Nächsten trennen. Noch hindert mich die Ur-Erinnerung an ein mürbes Männchen, das Parkbäume, die ihm nicht gehörten, gegen Hunde verteidigte, die ihm nicht gehörten, oder gegen Kinder, die ihm nicht gehörten. Nur die Furcht, zu werden wie er, bewahrt mich davor, wie er zu sein. Bislang. Doch höre ich mich im Ansatz schon kreischen.
Vorerst wußte ich den Ohrengraus zu verhindern, aber zunehmend finde ich mich in Lagen, in die ich vor einiger Zeit, ob nun hier wohnhaft oder dort, kaum geraten wäre. Es hat mit dem Kalender und auch mit dem ach so gelobten, ach so verfluchten ländlichen Dasein zu tun.
Nehmen wir eine Begebenheit, die am Dammersee begann, wo mir der Neffe zu den Ohren hinein- und hinausging, und die ihre Fortsetzung am Grothensee erfuhr, an dem ich mich vor der eigenen Stimme fürchte: Zur Prüfungszeit des Flötisten wurde ich von dessen aushäusiger Mutter, die eine Schwester Jennifers ist und wie diese für vermutlich immer auf der britischen Insel weilt, in meine Pflichten als älterer Verwandter eingesetzt und als ehemaliger Schweizerdegen zum nunmehrigen Festlandsdegen ernannt.
Beistehen möge ich ihrem Knaben im Examen, ein Auge haben auf seinen Lebenswandel und ein Ohr für seine Etüden, ließ die Schwägerin wissen. Ungefähr gleichzeitig teilte ihr Sohn mit, da er am Musizieren nur das Komponieren wirklichschätze, gedenke er, für den Studienabschluß entweder etwas sehr Künftiges oder etwas sehr Archaisches zu entwerfen. Ein Konzert für zwei Aufzugchips vielleicht oder eines für eine Leier.
Leider klinge Leierkonzert nicht so gut wie Klarinettenkonzert oder Oboenkonzert , sagte er. Da fragte ich ihn, wie es mit einem Okarinenkonzert wäre. Meine Torheit zu vollenden, fügte ich hinzu, soweit ich wisse, bediene die Okarina das Archaische viel deutlicher als die Oboe. Worauf der Neffe beschloß, mit einem so besetzten Konzert vor
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