Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
hinzugewann.
    Der Zusammenhang zwischen den Segmenten der Personen und dem Wohllaut des Konzerts hätte auch dann außer Frage gestanden, wenn ich nicht in meinen letzten Berliner Tagen Ohrenzeuge der Proben zur Prüfungsaufführung gewesen wäre. Lange noch nach dem Umzug ans stille Gestade vom Grothensee fistelte ich Partien der postarchaischen Komposition, die ich mir am lauten Dammersee zugezogen hatte. Was Wunder, daß ich sie in der Tonschleuse des Konservatoriums erkannte, obwohl sie vom Türholz gedämpft und infolge der Engpassage durch das künstliche Spundloch arg komprimiert zu mir gelangten.
    Dank meiner Vertrautheit erfaßte ich, daß es dauern würde, bis ich zwischen Satz und Satz unters Prüfungspublikum treten konnte. Entschieden zu lange, um nicht auf länger verkrümmt zu sein, falls ich gezwungen war, während des kompletten ersten Konzertteils gebückt an der Kommunikationsbohrung zu lehnen. Was aber sein mußte, da mich über das Okarinenspiel des Neffen hinaus das zum Lippenspiel verkürzte Mienenspiel seines Begutachters interessierte. Mangels eines anderen Möbels zog ich den Müllcontainer heran, obwohl er sich zu längerem Sitzen wenig eignete, da er mit einer Halbkugel abschloß, in die eine Schwingklappe eingehängt war. Doch nahm ich Platz und sah davon ab, mir mich im feinen dunklen Zwirn auf ihm detailliert vorzustellen.
    Das nahm mir die posaunengroße Posaunistin in gewisser Weise ab. Was immer sie geritten hat, sie kam so gut wie eingeritten. Klirrte in die Zwischenkammer, fraglos, um durch sie hindurch in den Saal zu klirren. Wurde nur durch einen piekfein gekleideten Alten, der auf einem Ascheneimer saß, daran gehindert.
    Piekfein stimmt, alt stimmt auch, saß stimmt nicht. Ich hockte auf der Säule, ritt vielmehr auf ihr, indem ich mein rundes Unten mit ihrem runden Oben zu verschmiegen suchte und mein Ohr nahe der Öffnung hielt, an der das Okarinenkonzert Nr. 1 ein wenig zerdrückt ins Freie trat. Ungefähr, denke ich, werde ich die Haltung des Denkers von Rodin eingenommen haben, nur daß der in sich hinein horcht, während ich mehr ins Außen horchte. In ein Außen, das aus nichts als Tönen bestand, die jenseits der Tür ihren Ausgang genommen hatten. Die Augen hielt ich geschlossen, so daß ich die Kürassierin neben mir nicht sah. Die Nase hielt ich verschlossen, so daß ich das Messing ihrer Posaune nicht roch. Mit dem Gesäß hielt ich mich auf dem Abfallgefäß, und mit Anstrengung hielt ich den Mund.
    Wohl war ich versucht, aufklärend auf die Großtrompeterin einzuwirken, doch wußte ich in der Sache nichts, was sie bei ihren Jahren nicht wissen konnte. Ich hätte allenfalls reden können vom Widerspruch zwischen dem Häßlichen, das aus ihrem Mund gekommen war, und dem Schönen, das ich dem Lexikon entnommen hatte.
    Der Klang der Posaune sei »mächtig und edel«, konnte ich dort lesen, als ich mich in Nachbarschaft zu meinem musizierenden Neffen aufs laufende brachte. Im selben Studiengang erfuhr ich, daß »in der europ. Kunstmusik allein noch die Querflöte gebräuchlich« ist, die man ihres »schönen milden und dabei ausgiebigen Tones« wegen schätze. Darüber hinaus las ich, die Flöte werde – sieh einer an, dachte der ehemalige Schweizerdegen – »nach ihrer Verwendung bei den Schweizer Landsknechten auch Schweizerflöte « geheißen. Ähnlich war die Bratsche oder Armgeige aufgeführt, der mein Neffe seiner Freundin wegen anhing, und deren Klang dem Brockhaus »sonor und leicht verschleiert« vorkommen wollte.
    Ich hütete mich, diese Perlen vor die Posaunistin zu werfen,die neben mir in der Schleuse stand. Nicht einmal Armgeige nannte ich die unedle Dummklotzin, obgleich mich der Wunsch beseelte, zumindest ihrem mächtigen Pustehorn eine reinzuhaun. Anflugsweise erwog ich zu fragen, ob ihr Engagement beim Sabbat des Blasens während des jüdischen Neujahrsfests zu erwarten stehe. Jener Feierlichkeit, die unter gläubigen Schmuls Posaunenfest heiße. Weil es aber bedeutet hätte, mich, wenn auch nur zum Zwecke meines Hohns, mit dem Abscheu der Person gemein zu machen, verwarf ich die Nicht-Idee.
    Wenn ich ihr Blechbläserinnenschnaufen richtig wertete, stellten meine Wort- und Reglosigkeit bessere Mittel dar. Zumal sie ihr, wie ich erfaßte, an einem Urbetagten begegneten, der im Staatsaktgewand im Niemandsraum auf einem Abfallgehäuse hing. Obwohl ich so ein Farbenwechsler gar nicht bin, machte ich mir in Stellvertretung der Anwärterin ein Bild von

Weitere Kostenlose Bücher