Okarina: Roman (German Edition)
die Kommission zu treten.
Um dem Verwandten zur abwegigen Idee auch das abwegige Geschirr zu stellen und meiner Geschichte, die sich bis in den nicht immer musischen Kreml zurückverfolgen ließ, einen musischen Schluß zu finden, fuhr ich zu Adele Bick und bat sie um das traditionsträchtige Instrument. Sie gab es mir, weil es weit weniger ihr Eigentum als meines sei. Dann teilte sie von Skrupeln mit, die sie seit jenem Einsatz der Okarina plagten, dessen Zeuge ich geworden war. Sie frage sich, ob man es unanarchistische Einmischung nennen müsse, daß sie die Willensdemonstranten unter den Linden zum Linksschwenk veranlaßt habe, anstatt sie geradeaus zum Brandenburger Tor hinaus wandern zu lassen.
»Wo sie jetze sowieso längst angelangt sind«, seufzte sie und hieß mich, neben ihr in der alten Stubenordnung Platz zu nehmen. Auf dem Tisch lag der mausfarbene Luftklinger bereit, von vergilbten Fotos blickten die Anarchisten auf uns herab, und zwischen Adele und mir tat sich die Sofakuhle auf, die von Leonhard geblieben war. Wohl hörte ich der verwitweten Musikologin zu, doch hielten mich Probleme besetzt, die sich aus eines Studenten Abschluß wie aus dem Umzug eines Strohwitwers ergaben.
Nicht ohne das Versprechen, ich wolle künftige Berlin-Fahrten mit Pausen in Nordend versehen, kürzte ich die Visite, brachte dem Neffen das Instrument, dessen Schockfarbe ihm ganz zu seinen Plänen stimmte, engagierte eine Spedition, ohne beschönigend von mir als einem Strohwitwer zu reden, verließ für immer das Haus, in dem der verwandte Tonsetzerzum Abschied bedrohlich auf dem Tongerät zischelte, und verzog, wie gesagt, nach Iswalde, Mecklenburg-Strelitz.
Wo mich, wie ebenfalls gesagt, vor der Prüfung das Ersuchen erreichte, als Repräsentant der Familie der Examensaufführung vom Okarinenkonzert Nr. 1 beizuwohnen, welche zugleich Uraufführung sei. Weil ich als Gast bei solchem Ereignis beinahe auch eine Uraufführung war, wußte ich zunächst nicht, wie mich kleiden, entschied endlich zugunsten feinen Tuchs und fuhr in einem Anzug, aus dem sich auf Vaterländische Verdienstmedaillen schließen ließ, aus der ländlichen Stille in die laute Stadt.
Wie das Gewand, stammte auch mein Zeitbemessen aus einer Ära, in der allfallsige Verkehrsstaus auf der F 96, die inzwischen B 96 heißt, noch der Kraftfahrerrede wert waren. So daß ich, obwohl sonst mehr als pünktlich, mehr als unpünktlich am Uraufführungsort erschien. Gestresst und overdressed. Ringsum im Foyer und vor der Tür zum Examenssaal, wo weitere Familien mit weiteren Prüflingen auf deren Auftritt warteten, war man im Unterschied zu mir mehr modisch als feierlich angezogen, doch focht mich diese Einzelheit nicht an.
Uneinbezogen zu sein erwies sich von Vorteil, da ich nicht Stellung nehmen mußte, als neben mir im Prüflingsbegleitpulk, der die Einlaßpforte blockierte, die Konzerttauglichkeit der Okarina angezweifelt wurde. Eine säulenhohe Jungmusikantin, die eine ausgewachsene Posaune wie Spielzeug schwenkte, gab hohnvoll bekannt, von den Króls einer – die meisten von denen habe es ja längst über und unter die Erde verteilt – sei derzeit drinnen mit so einer Vorzeit-Pfeife zugange. Einem gräßlichen grünlichbräunlichausgekotztfarbenen Ding. Dabei gebe es die fisteligen Geräuschprimaten auch in Meißner Porzellan mit Zwiebelmuster.
Ihm sei ganz so, sagte ein Herr, dem die Kandidatin, wenngleich im Maßstab 2:1 mehr als merklich glich, als habe er einmal im Landesmuseum Johanneum zu Graz, wo man sich bereits mit einem Fuß auf dem Balkan befinde, drei dieser Instrumente ausgestellt gesehen. Ihr für ihren Teil, fügte eine Dame hinzu, deren liebevolle Blicke sie als Mutter des Posaunenengels markierten, sei die Okarina nur aus dem ohnedies unerträglichenRussischunterricht bekannt. Ob sie nicht vielmehr eine Balalaika meine oder die Ukraine, fragte einer in Weste und Fliege, fügte noch Okinawa hinzu und wurde in allem überhört.
Gelegenheit für die Kommilitonin meines Neffen, das Thema wieder an sich zu ziehen. Außer seiner antiken Mäuschenpiepse habe Schmul Król auch sein Mäuschen, die Bratschistin, dabei, posaunte sie, damit sie das für ein Konzert unverzichtbare Orchester-Tonband steuere.
Wie ich mich fragte, ob die Olympionikin wohl wisse, was sie sagte, sah ich, alle wußten es. Alle wußten, daß mein Neffe nicht Schmul hieß und was der Name hier und überhaupt besagen sollte. Wie Schmul auf Król einen Reim ergab, machten
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