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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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von neuer Missetat. Vielleicht hat Störtebeker so gelächelt, dachte ich anfangs. Oder Robin Hood. Oder Hölz, der ein Sachse wie Slickmann war.
    Es hätte mir gefallen sollen, wie wir über den nördlichen Teil der Wilhelmstraße zogen und das Wort Konspiration erörterten. Eine Verschwörung von Gleichgesinnten meine es, sagte der Große Dramaturg. Gemeinsamkeit stecke darin und Geist. Wir seien an einen Fall geraten, der zeige, wie eng Bedeutungen in Wörtern wohnten. Beim vorliegenden Güterumschlag gehe es um eine Materie, die sich mit ihren Zwecken heilige. Urkundenpapier, Urkundenfarben, welche unter gewerblichem Eis in die Firma Moeller kämen, könnten Teile einer banalen Schiebung sein oder einer erlauchten Verschwörung.
    Er sagte nichts weiter; es reichte ja auch. Slickmann sagte nichts; es reichte ihm wohl. Ich sagte schon gar nichts, ich gab den tumben Lohnarbeiter. Zwar schrie mein Abzeichen mir zu, ich sei verpflichtet, für Klarheit zu sorgen, aber so gesehen trugen Flair und Slickmann die gleichen Zeichen. Im Augenblick war alles aus einem gewichtigen Grund etwas viel für mich.
    Flair erklärte den Augenblick zu einem, der allenfalls im Leben vorkommen dürfe, in der Kunst aber verboten sei. Unstreitig befänden sich im Moment ein Gaul nach Art von Brechtens Falladah, ein Karren, der den Namen Josef Ballhornewitsch Stalinski trage, ein Konspirateur aus sächsischen Schirrmeisterkreisen, ein Metteur, der penibel auf historische Daten halte, und ein Bühnenkonfliktverwalter mit Honorarvertrag, unbestreitbar befänden sich diese bizarren Kreaturen samt bizarrem Zubehör zur Stunde zugleich an einunddemselben Punkt jener Wilhelmstraße, der man nicht Unrecht tue, wenn man sie bei den übelstbeleumdeten Straßen der Welt einordne. Nur sei beurkundbare Wirklichkeit kein Argument in den Künsten. In ihnen verbiete sich ein Tableau, das sich schon dann für wahrhalte, wenn es aus Tatsachen bestehe. Zur Kunst reiche nicht, daß man etwas anfassen könne. Fassen können und zugleich nicht fassen können müsse man es. Wer uns drei plus Gaul plus Josef Stalinski auf eine Drehbühne brächte – nach Westen hin dürre Heide, die Tiergarten hieß, im östlichen Zentrum das ausgeschlagene Gebiß von des Reiches großem Maul, zwischen Voßstraßen-Modder und Kellermoder die Reichskanzlei, in der sich des Reiches Führer eingeäschert habe, links hinter uns des Reichsmarschalls Reichsluftfahrtmonstrum, rechts hinter uns Reichsjustiz und Reichsfinanz, vor unseren Nasen das Auswärtige Amt des Großdeutschen Reiches, Schulter an Schulter mit uns am Wilhelmplatz das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und unfern vor unseren Augen der Deutsche Reichstag, welcher ab und an zu brennen pflege – wer solchen Tatort zum Bühnenort machen wolle, sprach Gabriel Flair zu Ronald Slickmann und mir, dieweil wir plus Pferd und Wagen die von ihm bei ihren brandigen Marken genannte Dekoration durchschritten, der habe noch vor dem ersten Vorhang mit protestierendem Hallo zu rechnen. Denn unsere Mitmenschen seien der Symbolik müde und würden uns, falls wir beteuerten, wir hätten uns wirklich in einer solchen Szene umgetan und wahrhaftig vor so gruseliger Kulisse von Konspiration gesprochen, ein von uns derart überanstrengtes Publikum würde uns von den welthaltigen Brettern husten. – »Hört ihr überhaupt zu?«
    Die Frage schien ungerecht gegen Ronald. Sein Kopf war jedem Fingerzeig gefolgt, zu Göring zurück, zu van der Lubbe nach vorn, zu Hitler und Goebbels und Ribbentrop an den verkommenen Straßenseiten. Zwischendurch hatte er einen flüchtigen Blick auf Roß und Fahrzeug geworfen. Und einen innigen auf mich. Wohl um zu sehen, ob seine Güter in sicheren Händen seien.
    Gegen mich war Gabriel Flairs Frage nicht ungerecht. Denn obwohl sein Vortrag von gräßlich blakenden Figuren handelte, zog er mich damit nur begrenzt in seinen Bann. Obwohl ich unsere Fuhre vorm Rundhorizont aus naheliegender Geschichte wahrnahm, verlor sich mein Blick auf andere Bühnen. Obwohl mir der Wegeplan, über den wir uns bewegten,ins Herz gezeichnet war, nahm ich nur teilchenweise am Ummarsch teil. Denn bevor uns Flair mit dem widerlichen Gemisch aus widrigen Führern gekommen war, hatte er einen anderen Ton angeschlagen und ein Wort gesagt, auf das ich seit längerem wartete. Okarina hieß das Wort.
    Hier wird gleich zu klären sein, was es mit dieser barbarischen Flöte auf sich hatte. Auch muß ich von

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