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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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einmal einen Wächter. Doch war der dabei, einem Mädchen etwas beizubringen, und hatte keine Hose auf dem Hintern. Es wäre mir an die Ehre gegangen, Diensttuenden im lauenburgischen Wald von Hinrichs Wegzehr abzugeben. Auf nichts weiter, als daß sie mich passieren ließen. Zu etwas mußten die Semester in Verschlagenheit doch gut gewesen sein.
    Berlin sah nicht aus, als wolle es mir die Annäherung lohnen, aber in der S-Bahn merkte ich seine Grenzen nicht, und zu Jaskolskis Brief fand ich im Liebknecht-Haus den Empfänger. Doch mochte der wenig, was er las. »Deinem Hinrich müssen sie was in die Suppe getan haben«, sagte Wilhelm Strickland, Mitglied des Parteivorstands. »Kriegt einen Kader wie dich und legt ihm nicht Fußeisen an. Schmiedet ihn nicht an den Gemeindebrunnen, auf daß er den Flachsköpfen das Manifest hersinge um und um. Wie viele hat er von deiner Sorte?«
    »Von keiner Sorte viel«, sagte ich, »aber wir haben keinen Gemeindebrunnen.« Mehr beschäftigte mich die Bezeichnung Kader , die für Wanda und Danuta ein Gütesiegel gewesen war. Von einem Kader wie mir hatte Wilhelm Strickland gesprochen. Einen Kader wie mich hatte mich das Mitglied vom Parteivorstand genannt; das gab mir stolz von mir zu denken. Von denZauberwörtern eines auf mich gemünzt. Eins, das als Siegel galt und beglaubigte, man zähle zur Sache. Dabei gehörte ich noch nicht zu der sich zierenden Partei, sondern wollte erst hinein in sie. Zuerst in die von Hinrich Jaskolski und nun in die von Wilhelm Strickland. Aber daß ich ein Kader war wie ich, machte mir groß Behagen.
    Manches, dem ich begegne, wo ich mir als jungem Kerl begegne, lasse ich ungern als etwas gelten, das nun einmal gültig gewesen ist. Ich möchte einfach nicht so empfunden haben. Ich rede nicht von frommen Schaudern, sondern vom befremdlich gewordenen Glanz der Wörter. Oder von deren altgefährlichem Glimmen. Und rede von meiner entsetzlichen Naivität.
    Wahrscheinlich ging es auf uralte Rezepte zurück, daß wir uns für auserwählt hielten. Wir wurden an etwas beteiligt, dem andere nicht gewachsen waren. Die uns jagten, meinten ein Geheimnis in uns. Um nichts wollten wir Elite sein, aber zur Avantgarde erklärten wir uns immerfort. Wir waren auf Prügel nicht scharf, bestanden jedoch auf dem Recht, sie zu bekommen. Kaum ein Wort tat es uns ähnlich an wie das Wort Klassenkampf . Mit ihm wiesen wir uns als welche aus, die bei höheren Prinzipien im Dienste standen. Wer wen? lautete die einfachste, die vereinfachendste aller Fragen. Die für uns keine Frage war.
    Um bei den Kadern zu bleiben: Weit später vermittelte mir ein belesener und etwas bösartiger Mensch, daß Kader auch der Name eines indischen Primitivstammes sei. »Sie sprechen«, las er mir vor, »ein verderbtes Tamil und sind mit dem Einsammeln von Honig, Wachs, Elfenbein usw. beschäftigt, was sie gegen Lebensmittel eintauschen.« Da hatten sie einen, sage ich, der Mittel gegen mich wußte.
    Als mich aber der Genosse Wilhelm Strickland einen Kader nannte, fragte ich, was Hinrich Jaskolski geschrieben habe. Solche Auskunft sei nicht üblich, sagte das Mitglied vom Parteivorstand; der Brief bilde die erste Seite meiner Kaderakte. In der werde einmal alles stehen, was mich betreffe, aber nicht alles, was in ihr stehe, gehe mich etwas an. Nun solle ich mein Leben erzählen.
    Weil ich mich ans Nennenswerte hielt und auch noch nicht so lange lebte, ging es schnell.
    »Antifaschule? Lehrer warst du? Wieso läßt man dich laufen? Wimmelt es neuerdings von Antifalehrern in friesischem Land?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Weshalb bist du weggegangen?«
    »Genosse Jaskolski hat mich weggeschickt.«
    »Läßt du dich von jedem schicken?«
    »Genosse Jaskolski ist die Partei bei uns.«
    Wilhelm Strickland sah schlau aus, als er sagte, in seinem Zimmer sei er die Partei, und zu schlau sah er aus, als er fragte, ob ich mich von ihm nach Hohenschönhausen schicken lasse.
    »Wenn du mir sagst, was das ist«, antwortete ich, und das Du kam mir kaum verwegen vor.
    »Bedingungen stellst du?« fragte Wilhelm Strickland, Mitglied des Parteivorstands. »Merke dir, Kader stellen keine Bedingungen!« Aber der tonangebende Genosse lachte, und ich sah, daß er in mir gelesen hatte.
    »Wir haben eine neue Schule in Hohenschönhausen«, sprach er, während er sich Notizen machte, »zu der fährst du und behältst für dich, daß du Schriftsetzer bist. Die werden gesucht wie John Dillinger. Vorher gehst du zur

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