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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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durfte für seinen Skalp schon fürchten. Für einen Augenblick erwog ich, dem zornblinden Schüler die Augen zu öffnen und zu sagen, ich sei nicht mehr im Amte. Schau, Bruder, hätte ich rufen können, du bist mit den fremden Wörtern nicht zurechtgekommen, ich mit dem doppelten Liebknecht nicht. Mich hat man, und du hast dich entfernt. Die Schule liegt hinter uns; nun wollen wir uns nach Christenart benehmen.
    Ich habe die Klugheit nicht aufgebracht und meinem Schüler nichts verraten. Verraten, das Wort hat uns getrennt, und verbunden war ich dem Mann lediglich durch seinen niederschlesischen Zugriff in meinen ostzonalen Ärmel.
    In diesem Kino und an diesem Nachmittag ist es, finde ich immer noch, gleich mehrmals atemberaubend gewesen. Denn Ronald Slickmann war atemberaubend auf seine Weise. Vermutlich hat er sich zunächst mit seinem Kontakt über das Filmgeschehen ausgetauscht und der Bleichgesichter und Rothäute wegen nicht gleich eines ehemaligen Schülers Röte und eines ehemaligen Lehrers Blässe gesehen. Aber als er die sah, mußte er nicht in die Farbenlehre. Er trat zwischen mich und meinen aufgebrachten Schüler, ließ den etwas sehen, was eine Straßenbahnfahrkarte sein konnte, hob den zügelgewohnten Zeigefinger in die ungefähre Mitte zwischen seine sächsischen und meines Bedrängers schlesische Lippen und sprach: »Schon gut, Mister, wir regeln das.« Mit einer Kinnbewegung schloß er seinen Kontakt in den Plural ein, wobei sich traf, daß der so unbeteiligt dreinsah, wie er war.
    Mein Schüler begriff, und geholfen wird haben, daß Ronalds Tonfall ohne Tönung war. Oder belebt wie ein Eisbarren. Es hätte mir gefallen sollen, doch, Undank, es hat mir nicht gefallen. Der Eismann fragte weder nach Kritik noch Lob, sondern hat mich am rückwärtigen Ausgang des Lichtspielhauses mit scharfem Knuff zum S-Bahnhof Zoo, Fahrtrichtung Friedrichstraße, getrieben.
    Mein Schwung hätte reichen sollen, mich vor die nächste Parteiversammlung zu tragen, doch wollte der Schritt erwogen sein. Ich bedachte ihn durch die lange Nacht des zweitenFesttags, verfeuerte mein letztes Brikett, mampfte Frau Moellers Spekulatius, lag atemlos den Franquisten gegenüber, als unserem amerikanischen Kampfgefährten Robert Jordan die Stunde zu schlagen begann und überlegte, ob ich der Partei vom Zusammenstoß mit einem Kerl sagen solle, welchem Revisionismus und Reformismus sowohl Jacke wie Hose als auch Gründe für individuellen Terror waren. Um und um begrübelte ich, ob ich beichten könne, ohne mir Wege zu verbauen. Solche, auf denen sich bei nächster Gelegenheit ins andere Kino gelangen ließ. Wo es Die blaue Dahlie gab. Von Raymond Chandler mit Alan Ladd und Veronica Lake und Ronald Slickmann und mir in den Rollen.
    Als Robert Jordan tot war, der Ofen kalt, die Tüte mit Backzeug leer, das Weihnachtsfest zu Ende, wußte ich, es werde sich nicht richten lassen. Um sicherzugehen, habe ich Ronald gefragt, wie ich den Zwischenfall am Monongahela anfassen solle. Nein, weder an Fedia noch an Flair hätte ich mich wenden wollen. Der einen konnte mein Problem nicht in die Generalslaufbahn passen, dem anderen nicht ins Weltbild. Zwar hatte ich größten Respekt vor ihm, doch war ich weder auf seine Flötentöne noch auf die der sanften Okarina scharf.
    Blieb also, wenn ich mir selber nicht genügte, der Fuhrmann. Er hörte die Frage, wie der Frage beizukommen sei, in Ruhe an, hob den Zeigefinger zwischen sich und mich und sagte: »Kein Wort davon!«
    Nun gut, kein Wort. Dabei ist es bis eben geblieben.

16
    Um in Wichtigem verständlich zu werden, darf ich ein Wort über die Anfänge zwischen meiner Partei und mir nicht auslassen: Ich war in ein Deutschland zurückgekommen, das durch Teile in Erscheinung trat, die man Zonen nannte. An das Wort konnte ich mich seiner negativen Aufladung wegen nie gewöhnen.
    Es klingt unerlaubt, doch stimmt, daß ich eingesperrt zugenaueren Bildern von meinem Vaterland kam. Mit verzerrten oder verwischten war ich in Fülle versehen. Nachdem man mich weggeschlossen hatte, ahnte ich mehr von dem Land, in dem ich einige Orte kannte. Was südlich der Elbe lag, hieß Fremde; in der östlichen Fremde wurde sie mir vertrauter. Weil ich aus dem Heimweh meiner Zaungefährten erfuhr, wie der Wind über den Rhein weht, wo es nach Holland geht, und wie fromm man in Regensburg lebt oder wie arm im Bayerischen Wald oder im Dorf hinter Aue.
    Jenes Rechteck, das nach den Maßen unserer Hymne zwischen Maas,

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