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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Ich hätte sagen können, daß es in der Lagerschule für unklug galt, von Sozialismus zu sprechen. Und gar von einem in einem deutschen Teil, der Zone hieß. Ich schwieg, weil es als unstatthaft galt, jemandem, der Sachsenhausen überlebt hatte, von selbstgehabter Barackenzeit zu sprechen. Gut, die Türme, die Zäune, die Pritschen, die Wanzen, die Kälte, die Hitze, die Ferne, die Furcht, also die Erscheinungen, die waren vergleichbar, zumal es sich oft nicht nur um gleiche, sondern dieselben Lager handelte. Aber das Wesen, Freund, das nahm sich, wie dir hoffentlich bekannt ist, entschieden anders aus. Oder willst du den Unterschied zwischen Tod und Leben nicht sehen?
    Ich schwieg vor Hinrich Jaskolski auch von seiner Ansicht, in den nächsten fünfzig Jahren werde es nichts mit dem Soscholismus in Schleswig-Holstein. Aber als ich sie mir in Berlin zu eigen machte, schlug man mir beträchtliche Dellen in den Theoretikerhut. Hätte Hinrich geahnt, daß man den Verfechter seiner Ansichten allsogleich einen Kapitulanten heißen werde, wäre er wohl weniger dringlich mit dem Auftrag gewesen, ich solle bei der Einheitspartei lernen, wie man wenigstens teilweise hinkriegte, was im ganzen noch nichts werden wollte.
    Zu Hause wirkten neben Jaskolski etliche von denen, für die er nichts als der Kommunehäuptling war, auf mein Fortgehenhin. Einstige Freunde, die mich wild begrüßten, als sie meiner ansichtig wurden, und mich wie einen Wilden mieden, als ich ihnen mit meinen Ansichten kam. Am kräftigsten förderte meinen Abgang einer, ohne dessen Ansichten ich kaum zu meinen gekommen wäre. Der Grund seiner Wende sei der Handschlag zwischen Molotow und Ribbentrop, ließ er mich wissen und sprach die Namen wie Mollentopf und Rippentrog. Er redete von der Familie Djugasch und ihrem kleinen Willy, dem weisen Willy Djugasch, der inzwischen anders hieß – »fängt mit S an und hört mit Tallin auf!«
    Ich hatte diesen Humor längst durch und mich weder totgelacht noch umgebracht. Ich war auf eigene Witze gekommen und bei der Meinung geblieben, die ich zu nicht geringen Teilen diesem Verwandten verdankte. Ich fragte ihn, warum er einen Krieg lang über den Handschlag geschwiegen habe und jetzt von ihm rede wie ein, ja, wie denn nur?
    »Ja, wie denn?« sagte er. »Faschist paßt nicht, weil der Rippenkopp einer war. Kommunist paßt dir nicht, weil du einer bist. Antikommunist paßt mir nicht, weil denen der Pakt gepaßt hat. Ihr habt wohl nicht gelernt, daß man nicht schon Faschist ist, wenn man den Djugasch nicht liebt. Daß einer hoffen kann, der Russe siegt, aber Djugasch nicht. Daß sich im Frieden sagen läßt, was im Krieg nicht ging. Damit du’s weißt: Wie es jetzt zwischen uns ist, das kommt auch auf die Kappe von dem Djugasch.«
    Ich lief aus seinem Haus, in dem alles wie immer war. Sogar die Kaffeemühle sitzt bei denen noch an der Küchentür, dachte ich in sinnloser Wut. Ich nahm Abschied von meiner Mutter, die mich nicht verstand, und von Jaskolski, der mich verstand, und ging im kürzesten Schluß aus dem verwandten Zuhause in die verwandte Fremde. Meine Mutter sagte, sie verstehe mich jetzt sowenig wie damals die Feldpostkarte, auf der ich ihr geschrieben hatte: »Hier ist es still. Vom Krieg kriegen der Pole und ich nur mich zu sehen.« Sie habe nicht vier Jahre gewartet, damit ich mich nach vier Tagen entferne, aber wenigstens fahre ich jetzt in keine Schlacht. Hinrich sagte, er wolle einem schreiben, der mit ihm im Landvolk war und im Emsland und es aus dem Moorlager nach Spanienschaffte. Der habe viel Sagen, wo sie den teilweisen Soscholismus versuchten.
    Es kam mir nicht weit vor nach Berlin: vielleicht, weil man bis Warschau mehr als doppelt so lange reiste. Ich fuhr aus einer kleinen deutschen Stadt in eine große deutsche Stadt; das schien nicht weit. Gegen das Regiment an der Zonengrenze wußte Jaskolski Mittel. Englischen Wächtern solle ich eine Flasche reichen und sagen, sie enthalte sibiriän Schnäps. Bei Russen sei dänischer Aquavit beliebter; ich müsse nichts sagen, es seien Kenner. Die Taxe der deutschen Polizei, britische Zone, stehe bei hundert Mark, während die deutsche Polizei, sowjetische Zone, einem für eine holsteinische Mettwurst noch Ehrengeleit gebe.
    Es muß ihn arm gemacht haben, was er mir auf den Weg durch mein Vaterland gab. Ich habe es ausschließlich für mich verbraucht, auch wenn ich ab und an Gesellschaft dabei hatte. Auf der Reise vom Westrand zum Ostrand sah ich nur

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