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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Memel, Etsch und Belt gelegen war, habe seit Heinrichs Zeiten, so lehrte man mich, einen Siedlungsraum hergegeben für denkbar unterschiedliche Menschen, denen ihre Rechtschaffenheit gemeinsam sei. Soweit sie Berliner waren, galt Berlin meinen Unterweisern als herzlich mißdeutete Ortschaft. Über dem bedauerlichen und gewiß tadelnswerten Betragen einiger ihrer Bewohner habe die Welt den Blick für die Güte der anderen verloren. Als ich später aus berufenem Munde erfuhr, im östlichen Teil der Hauptstadt lasse sich äußerst Wissenswertes erlernen, ging ich, kaum war ich zu meiner Mutter Herd heimgekehrt, an die kalten Kamine von Berlin.
    Die Partei bei mir zu Haus und ein parteiischer Verwandter beförderten meinen jähen Wieder-Abmarsch. Die Partei hieß Hinrich Jaskolski, und die Leute meinten, es gebe zu wenig Hinrich und zu viel Jaskolski in ihr. Dazu sagte Hinrich, zwar wohne er seit dreihundert Jahren hier, doch jetzt reime sich ihnen Jaskolski auf Polski. Was Polski betreffe, sei aber ich der Experte.
    Er freute sich über meine Beitrittserklärung und nahm sie nicht an. »Du wärest keine Hilfe«, sagte er, »du beweist nur, was sie schon wissen: Rot kommt aus dem Osten. Als Hänschen Unschuldsweiß haben sie dich ausgeschickt, und als Iwan Schuldrot kommst du zurück. Sagst du tausendmal, du bist hier geboren, sagen sie tausendmal: Und dort haben sie dich zum Kommunisten verdrillt. Willst du ihnen widersprechen?«
    »Ich könnte sagen, was ich gesehen habe.«
    »Einem Verräter hören sie nicht zu. Sie haben dich ausgesandt, ihnen den Osten zu holen, und wie kommst du wieder?«
    »Ach, Genosse«, sagte ich, »wie oft ich das schon beantworten mußte!«
    »Ach, Genosse«, sagte Hinrich Jaskolski, »dann zeig mir, was es nützte! Du kommst aus Rußland und bringst Rußland mit. Oder du bringst Rußland aus Polen mit.«
    »Beeten scheef het God leev«, höhnte ich, aber Jaskolski wollte mein Platt nicht hören. »Die Komintern auf Plattdeutsch«, sagte er in leierndem Ton, »ist nur eine getarnte Komintern, die besonders schlau sein möchte. Denen ihr Hauptkommissar Thälmann sprach auch Platt, aber man hat ihn dennoch erschießen müssen. Weil er nichts als das plattdeutsche Vorkommando von den Russen war.«
    Ich wäre gern ein Vorkommando von Hinrich Jaskolski geworden und sein Gehilfe gegen die Dummheit auf Platt. Aber er wollte mich sowenig wie das Niederdeutsche. »Auf jeden Hiesigen«, sagte er, »kommt einer aus Liegnitz oder Pillau oder Eger. Von denen hörst du: Wer so wie du mit ihnen spricht, will nicht, daß sie ihn verstehen. Darum kann Schleswig-Holstein so lange mit Ossenzungen reden, wie es mag; die Partei spricht hochdeutsch.«
    »Gut«, sagte ich, »dann bitte ich hochdeutsch um Aufnahme in diese schwierige Partei.«
    Worauf mein Genosse Hinrich Jaskolski antwortete: »Den Düwel ook, dat deist du nich. Du scheerst di na Berlin op School. Hier wart dat vörläufig nix, dor kann dat wat warn. Soscholismus in een Land, dat gifft dat all. Nu möt wi Soscholismus in een Deel versöken.«
    Ich hoffe, daß ich mir nicht zu oft in die Rede falle, um zu sagen, was sie besagen will. Hier tue ich es. Nicht, weil ich fürchtete, man könne Jaskolskis Platt nicht folgen. Das dürfte nicht schwierig sein. Auf anderes jedoch, das direkt an diese Frage rührt, ein Hinweis. Im Grunde gilt er eher mir: Ich entdecke in meiner Geschichte, wie sehr wir uns anfangs mit neuen Wörtern schmückten und wie verquer wir für eine Weile aus den Büchern lebten. Ging es stockend voran, sagtenwir: Zwei Schritt vorwärts, einer zurück. Erwies sich etwas als vertrackt, erkannten wir die Dialektik in ihm. Schon bei kleinsten Erfolgen warnten wir vorm Schwindel, der uns als deren Folge befallen könne. Lag Rüpelei vor, redeten wir vom Radikalismus als Kinderkrankheit des Kommunismus. Noch vor der geringfügigsten Klemme fragten wir im Iljitsch-Ton: Was tun? und verhakten die Daumen in unsere Tribunenweste. Tag für Tag zogen wir Lehren aus der reinen Lehre. Es war, als setzten wir uns ständig in unbekanntem Gelände ins Verhältnis zu Karte und Kompaß. Will man es positiv, triumphierte die Theorie. Leider war die Praxis ungeduldig und kehrte sich nicht an das, was geschrieben stand. Sie hielt nicht so lange still, bis wir alle Fußnoten durchgegangen waren.
    Und doch war die Stunde der Entwerfer, als Jaskolski mich aussandte, den Soscholismus in een Deel zu studieren. Inzwischen ist der Entwurf über uns hingestorben.

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