Okarina: Roman (German Edition)
vor allem war einer dem anderen auf rarste Weise nützlich. Indem jeder mit jedem reden konnte wie sonst keineswegs mit jedem. Wir hatten es nicht abgemacht; es stellte sich her. Gabriel Flair behielt die Bezeichnung Zelle für unseren Dreierbund so beharrlich bei, wie Ronald und ich uns hüteten, von Freundschaft zwischen uns und dem Großen Dramaturgen zu sprechen. Obwohl er uns dazu ermunterte, stand es uns in unseren Augen nicht zu.
Wohl aber stand es uns an, dem Autor zur Seite zu sein, als es nötig schien. Zum Glück für Ronald, der bei aller Liebe in Flairs Theater vor allem eine Art belebten Briefkastens sah, und für mich, dem es weit leichter fiel, Programmzettel zudrucken als Programmwünsche auszudrücken, vergingen etliche Wochen, ehe uns der Zellengenosse nach seiner ersten Warnung wissen ließ, nun sei es soweit. Dafür rief er jetzt gleich nach uns allen, nach Ronald und mir und Fedia dazu und fragte, ob ich nicht meinen artistischen Unternehmer und meine anarchistischen Untervermieter mitbringen könne. Es komme auf schiere Stückzahlen an.
Das klang dringlich, und kalendarisch konnte es dringlicher kaum sein, denn als ich um Daten bat, erwiderte Dramaturg Flair, nun werde es peinlich, da es heute noch sei, um sechzehn Uhr. »Mein Lieber, falls es dich überrascht, das genau soll es. Es fällt in jedermanns Arbeitszeit; zumal in die derer, die sich mit mir aussprechen wollen. Es ist ihre Arbeit, sich mit mir auszusprechen. Gewiß ist es mir peinlich, euch zu überfallen, aber in Kunstsachen endet alle Penibilität.«
Von den Flairschen Kernsätzen einer, zu dem ich nur beteuern konnte, ich werde mein Bestes tun.
»Bon!« sagte Gabriel Flair und wußte wieder einmal nicht, wie sehr solcherart Lob mich in Gang setzte.
Fedia zu erreichen war nicht schwer, sie zu erweichen auch nicht. Für den Großen Dramaturgen hätte sie hohe Berge bestiegen, und im Wirtschaftsdezernat, wo sie ein Gastspiel gab, empfand man es als Ehre, daß eine der Ihren zur Kunstdebatte gebeten wurde. Fedia versprach, Leonhard Bick beim Schichtwechsel in der Tierklinik abzufangen. Dessen war ich zufrieden, denn Leonhard hätte ihretwegen hoher Berge nicht geachtet. Ronald ließ mich auf hochsächsisch ungnädig wissen, die von mir benutzte Nummer sei für den Notfall gedacht. Als ich sagte, der liege vor, und Fedia, für die er Berge von West nach Ost verschoben hätte, werde kommen, versprach er, dazusein. Friederike Moeller hörte mir beim Telefonieren zu und zeigte mit Daumen und Zeigefinger an, wie bergeshoch meine Zeit in ihr Geld gehe. Das sei ja noch schöner, sagte sie, als ich um frühen Feierabend bat. Ich versicherte, ich werde anderntags zeitiger kommen, und übermittelte die Einladung Flairs. Das werde ja immer schöner, sagte sie und wollte wissen, wie das Haus Moeller meine Lohnkosten aufbringen solle. Ich war zur Antwort versucht, Friedrich Moeller möge gleich mir zufrüher Stunde in den Werktag starten, doch entbot ich statt dessen die besten Grüße Fedias und weitete sie auf Herrn Moeller aus, als er in sein Kontor trat. So freudig er bereit gewesen wäre, meine Fedia mit seinen Zähnen in ihrem Kragen auf einen nicht zu hohen Berg zu schleppen, so freudig sagte er zu. Da komme sie mit, sagte Friederike Moeller, und an die Firmentür schreibe sie, heute sei der polygraphische Markt kampflos an die westlichen Syndikate und östlichen Kombinate gefallen.
Wenigstens hatte ich meins getan und Erfolg gehabt, dachte ich, als wir uns mit Gabriel Flair mitten im reifen Werktag vorm Neuzeittheater zur Kunstprobe trafen. Es sei sehr nett von ihnen, sagte er zu Moellers und Bicks, es sei nett von uns, sagte er zu Fedia, Ronald und mir. Worum es gehe, werde sich zeigen. Hüten wolle er sich, zu dem Mummenschanz eine Meinung zu äußern. Die liege vor mit dem Stück. Daß wir es nicht alle gleich gut kennten, falle nicht ins Gewicht, da auch dessen Gegner es nicht besonders gut kennten. Ansonsten komme es auf das kleine Werk weniger an als auf das, was dagegen vorgetragen werde. Bis gleich denn, er müsse nunmehr der Gegenseite die Honneurs erweisen.
Obwohl wir nicht mit dem Finger am Abzug im Graben standen und des anschleichenden Gegners harrten, ist mir die Szene scharf wie ein Waffengang eingetragen: Fedia sah in Uniform besonders schmuck und bedeutend aus, Ronald im Frontstadt-Trench besonders gefährlich, aber des Mittelscheitels wegen auch ein wenig blöde. Friedrich Moeller hatte sich in eine getupfte
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