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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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einen angemessenen Platz für jeden Beteiligten.
    Der Streit, aus dem sich die Handlung betrieb, war der um ein Theaterstück. Weil dessen Verfasser Flair hieß, dem niemand mit der Tröstung kommen durfte, ein Spiel sei nur Spiel, lag nicht einfach ein Abbild der Welt vor, sondern ein anfaßbarer Teil von der. Was sich bestätigte, da sich die Gegner des dramatischen Versuchs gebärdeten, als gehe es doch ums nackte Leben. Worum es, nimmt man weder nackt noch Leben allzu wörtlich, auch wirklich ging. Der Eiserne Vorhang, von dem mir Churchill per Radio hinüber nach Warschau in den Mechanikerkeller der 10. Abteilung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit Nachricht zu geben wußte, war längst als politische Realität in das Theater zurückgekehrt, aus dem der Redner in Fulton sein Jahrhundertwort entliehen hatte. Um es im Stil der Zeit zu sagen: Wie in dem einen Souffleurkasten Shdanow hockte, gab im anderen McCarthy die Stichworte aus. Sartres Fliegen oder Simonows Russische Frage , das war hier die Frage oder war natürlich, Genossen, überhaupt keine Frage.
    Weil mich vor allem Bücher und Kino bewegten und ich den Produkten die Bedingungen ihrer Produktion kaum ablesen konnte, enthüllte mir jede Anmerkung Flairs zum Stand dertheatralischen Dinge eine unbekannte und erstaunliche Welt. Wollte man ihm glauben – und ich wollte es, wo es nicht um Fedia ging, ganz und gar –, hatte man im Genossen Winifred vom Hauptvorstand den Hauptvermittler zwischen theoretischen Bewertungen und der Praxis hauptstädtischer Bühnen zu sehen.
    Der Genosse Winifred, sagte Flair, habe zu bedenken gegeben, kritisch herausgestellt, deutlich hervorgehoben, nicht ohne Ernst bemerkt, dringend angemahnt, behutsam gewarnt oder auch nur leise betont – und unterm Hauch seiner Amtausüberfloskeln seien alle Pflänzchen, Ideen oder Projekte augenblicklich verkümmert. Wenn Flair den Genossen Winifred zitierte, blieb seine Tonlage verächtlich, mochte es sich nun beim Gegenstand um den Dramaturgen Flair oder den Dramatiker Shakespeare handeln.
    Die Hinweise des Genossen Winifred gewannen an Schärfe, wenn sie die neueste, vom Autor kleine Arbeit genannte Arbeit Flairs betrafen. Der hielt uns auf dem laufenden, weil wir auf gegenseitiger Unterrichtung bestanden hatten. Nie wäre er, sagte Ronald, von sich aus auf die Idee gekommen, sich in engster Vertrautheit mit dem Dichter der Jugend zu sehen; da aber dieser es gewesen sei, der uns beim Ausritt mit Stalinskis Kutsche zur Dreierzelle ausgerufen habe, müßten Vertrautheit und Vertraulichkeit hin und her gelten. Ronald ließ es an Beweisen seines Hin nicht fehlen, ich folgte ihm, und Flair folgte uns mit seinem Her.
    Wir waren eine Dreierzelle und sind es im Grunde geblieben, auch wenn jeder längst sein abgeteiltes Leben lebt oder lebte. Wir galten uns als Dreibund, obwohl zumindest der Theatermann als dessen Stifter und auch ich mich nicht immer behaglich dabei fühlte. Wie Flair seine Schwierigkeiten mit jeder körperlichen Nähe hatte und Ronald in diesem Punkt gänzlich unbeschwert war, bereitete mir gerade der ideelle und vornehmlich politische Einklang zeitbedingte Skrupel.
    Weil ich von Befremden ahne: Wenn wir uns als Zelle trafen und benahmen, konnten wir leicht als malignes Vorkommnis gelten. Als krebsige Abform, die Fraktion geheißen werden müsse. Es so zu sehen, bedurfte es keines Genossen Winifred;es so zu sehen, langte ein Genosse wie ich völlig hin. Unter den Beelzebubwörtern, mit denen wir einander auf den rechten Pfaden hielten, war eines der schwefligsten die Fraktionsmacherei . Wie nicht selten bei strafbeladenen Sachverhalten, hatte am Anfang ein vernünftiger Gedanke gestanden: Gegen die Einheit der Mächtigen mußte die Einheit der Ohnmächtigen gelten. Es handelte sich um eine Idee, deren Übersetzung für längere Zeit Proletarier aller Länder, vereinigt euch! lautete. Es handelte sich um eine Haltung, aus der in Fraktionsmacherei abzuweichen als erzschlimme Sünde galt.
    Wollte man meinen Status ins bürgerliche Leben übertragen, lief ich in fragwürdiger Freiheit auf Bewährung herum. Beim nächsten Mal werde sie mich aus der Einheit mit ihr entlassen, hatte die Einheitspartei wissen lassen, und bei solcher Lage war Fraktionsmacherei so gut wie dreiunddreißig Male wert. Ich deutete es meiner Zelle an, und die Zelle aus Slickmann, Flair und mir tat es keineswegs leichthin ab. Sie legte vielmehr jene strafwürdige Besonderheit an den Tag, die in einem

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