Okarina: Roman (German Edition)
schon wird es Zeit, daß ich zu den ABC-Schützen stoße. Von deinem Urteil über Fedia, früher und jetzt, rede ich nicht.«
»Schön, mein Lieber, dann tust du es nicht«, sagte Flair, und weil mir das zwischen Wortschwall und Verstummen die Wahl ließ, schwieg ich und dachte mir den Wortschwall. Einen, der nicht geeignet war, dem Großen Dramaturgen zugeleitet zu werden. Vor allem, weil der Theatermann auf Text, den sich nur Eingeweihte denken konnten, nicht gut zu sprechen war. Aber auch, da er mir trotz zyklischer Ausfälle gegen den Genossen Ballhornewitsch, immer noch für einen Verbindungsmann zu diesem gelten mußte. Niemand sonst taugte mit seiner Biographie und seinen Versuchen, auf meine Einfluß zu nehmen, so gut wie der anstrengend anziehende Flair. Von seinem Umgang mit dem Wort Okarina zu schweigen, entkräftete sein obrigkeitskritisches Verhalten meine Vermutung um kein Fädchen. Auch Frau Wanda und Frau Danuta, die beide einen Aufenthalt in Workuta hinter sich hatten, hinderte dies nicht, eiserne Bevollmächtigte von Komintern und GRU oder vom Kominform und wer weiß wem zu sein. Nach allem, was ich von allen dreien kannte, hielten sie streng auf Sitte und Moral. Weder den Damen Danuta und Wanda noch Gabriel Flair hätte ich mit dem zu kommen gewagt, was mich, als er mir von Blusenleinen und feuchten Kämpferrücken sprach, derart überfiel, daß er fragen mußte, was nun wieder sei.
Nun wieder war Fedia, wer sonst. Fedia, über deren Rückensich manchmal Hemdenleinen spannte und manchmal nicht. Fedia, von Regen und Sichregen naß nicht nur am Rücken. Fedia und der Binnenreim ihrer Blusen. Fedia, die Spezialistin für Soll und Haben, von der ich alles haben konnte und haben wollen sollte. Fedia, die sich, wenn da kein Himmelbett war, mit dem Himmel begnügte. Fedia, mit der ich mehr wachte als schlief; einmal sogar im Kino, als vorn der geliebte Tschapajew lief. Fedia, die nicht einsah, daß, was Palmsonntag ging, nicht auch Freitagnacht unter Kastanien gehen sollte. Oder auf der Kellertreppe vom Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Oder, um zu beweisen, daß man von ihm nicht nur essen könne, auf dem Fußboden in ihrer Mutter Küche. Fedia, unordentlichste aller askanischen Hauptbuchhalterinnen und neupreußischen Generalwachtmeisterinnen, die mir auf dem langen Marsch in die Mündigkeit immer vorangegangen und nun fortgegangen war. Verrückte Fedia, entrückte Fedia, gewonnene, entronnene Fedia. Was jetzt wieder sei? Meine Freundin Fedia war, immer noch, was denn sonst.
»Mit Verlaub, Genosse Flair, das ist nicht konsequent«, sagte ich und gewann alle Aufmerksamkeit des Genossen Flair. »Von deinem Dichter gilt, was er früher schrieb, auch wenn er längst nach deinem eigenen Urteil Unsinn redet, aber von Fedia soll nicht gelten, was sie einmal tat? Ich meine, allem voran hat sie ein gewisses Theaterstück gerettet.«
»Das taugte nicht viel.«
»Was uns sein Autor nicht wissen ließ.«
»Weil er es nicht sah.«
»Aber Fedia und Ronald hätten es sehen müssen?«
»In deiner Bescheidenheit vergißt du einen.«
»Könnten wir bei Fedia bleiben?«
»Sie ist nicht bei uns geblieben.«
»Als es um dein Stück ging, hat sie sich aufs Spiel gesetzt.«
»Nicht anders als ihr.«
»Erstens: Und das hast du wahrgenommen? Zweitens: Doch anders als wir. Sie war Polizistin in Gott weiß welcher Ausbildung. Ihr Auftritt zu deinen Gunsten und in Uniform hätte leicht Amtsmißbrauch heißen können.«
Gabriel Flair klopfte suchend auf seine Jackentaschen, alswisse er nicht, daß er schon lange nicht mehr rauchte, dann gab er zu verstehen, ich solle nur sehen, wie weit es mit ihm gekommen sei, und endlich sprach er so beiläufig es sich machen ließ: »Mir ist eure Posse zugunsten meiner kleinen Sache nicht entgangen. Daß es, wenn meiner Arbeit der Hals gebrochen worden wäre, leicht euren hätte kosten können, brauche ich nicht schriftlich. Ich erwog eine Weile, ein Stück aus eurem Eintreten für das Stück zu machen. Na ja, erwogen und zu leicht befunden.«
Bezeichnenderweise ärgerte mich am meisten der Bescheid, es habe der Augenblick, in dem die Kunstfreunde Slickmann, Moeller & Moeller, Fedia und ich ins ideologische Gefecht um ein Drama gezogen waren, nicht zum Flairschen Theaterversuch getaugt. Was brauchte es mehr als die Spitz-auf-Knopf-Konstellation, bei der es dem Schein nach um ein Spiel ging, in Wahrheit aber, nein, nicht gerade ums Leben, jedoch um einen Platz in ihm. Um
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