Okarina: Roman (German Edition)
Schleife und in scharf gebügelte Hosen getan, während Leonhard Bick kniehohe Veterinärhelfer-Gummistiefel trug und nach verängstigten Hunden roch. Er und Herr Moeller schienen sich zu mögen, vielleicht, weil beider Figuren ins Quadratische neigten. Frau Moeller besah mein kleines Parteiabzeichen und sagte, das seien ja ganz neue Moden. Ähnlich ihr wenngleich aus politisch anderen Motiven wirkte auch die Musikologin Adele Bick zur Stunde mehr auf Schalmeien als auf Oboen gestimmt. Von Flairs Stücken hielt die Anarchistin Adele nicht viel, weil in ihnen wenig gesungen wurde, aber der Polizistin Fedia rief sie vor allen Leuten zu, essei schandhaft, wie selten sie sich sähen. Grad so, als lägen allerhöchste Berge zwischen ihnen.
Der Große Dramaturg winkte aus einer beamtet blickenden Gruppe herüber und forderte uns auf, ihm zur Probenbühne zu folgen. Die Beamten ließ er wissen, wir Genossen von der Basis seien seine gesellschaftlichen Berater. Ehe die Bicks und die Moellers sagen konnten, sie seien keine Genossen, und ehe Ronald und ich sagen konnten, wir seien keine Berater, hatte Fedia zurückgewinkt und uns ermahnt, Flair gewähren zu lassen. Er brauche uns, sagte sie. Das mochte sein, doch gab sich der Dichter munter. Er wies mit großer Gebärde auf Fedia und verkündete, ihre Kleidung zeige deutlich, an welchem Abschnitt der Basis sie tätig sei.
»Überbau«, entgegnete ein großer stattlicher Mann, »eindeutig staatlicher Überbau!«, und Ton wie Inhalt seiner Intervention ließen mich den Genossen Winifred bzw. Folgenreich Huldig vom parteilichen Überbau erkennen.
»Ohne Zweifel«, sagte Flair, »wissenschaftlich ohne Zweifel«, nur verführe ihn die herkunftsbestimmende Vorsilbe Volks- stets dazu, die Volkspolizei der Basis zuzuordnen.
»Gefühlssozialismus!« rief der Genosse Winifred und ließ es wie Handwerksburschensozialismus! klingen. Ob Fedia nun sah, wie wenig es Moellers und Bicks behagte, Berater, Polizei, Basis und Volk bzw. staatlicher Überbau zu sein, oder ob sie sowenig wie Ronald und ich ins Zentrum von Leiterüberlegungen geraten mochte, jedenfalls erwies sich, daß sie über die bewaffnete Buchhalterei hinaus durch eine Lehre zur gewaltlosen Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols gegangen war.
»Wenn es nicht so unwissenschaftlich klänge«, sagte Fedia aus Jüterbog, und sie so zu hören, ließ mich mehr als staunen, »könnte man von einem Volksüberbau sprechen.« Im Sinne von Volksdemokratie, meine sie, was zwar doppelt gemoppelt, aber inhaltlich dennoch richtig sei.
Nach einer Bedenkzeit rief der Genosse Winifred: »Sehr richtig, verehrte Genossin von der Volkspolizei! Aus dem Volk, mit dem Volk, für das Volk, hier zeigt es sich wieder. Wo es ums Volk geht, kann gar nicht genug doppelt gemoppelt werden.«
Als habe sich damit die Losung für unser kunstförderndes Tun gefunden und als gelte es, seine Gesten unter den theatralischen Geist des Hauses zu stellen, schwenkte der Genosse Winifred den Würdenträgerhut und ermunterte uns mit halbem Bückling, Flairs Einladung nachzukommen. Im Probenraum hieß er alle, auf dem verstreuten Gestühl Platz zu nehmen, entbot einigen jungen Leuten, Schauspielschülern wohl, die am Bühnenpodest lehnten, seinen Gruß, hängte den Mantel über die Schultern, wie man es aus Donbass- und Kaukasusfilmen kannte, und empfahl, zuerst die vom Autor in Aussicht genommene Überschrift in den Mittelpunkt der Beratung zu stellen.
Da Flairs jüngstes Stück, welches von Anbeginn den Titel Anderes Licht trug, ähnlich seiner älteren Arbeit, die Neue Maße hieß, mit einem bei Moeller & Moeller von mir zu fertigenden und fast fertigen Programmheft versehen sein sollte, klang in Aussicht genommen wie ein Wort, das allen Taten hinterherhinkte. Weil aber der Genosse Winifred als einer galt, der seine Worte für die eigentlichen Taten hielt, rief ich, es seien kostenträchtige Produktionsabläufe mit dem Namen Anderes Licht verbunden und in unserem Hause längst über die bloße Planung hinaus gediehen. Frau Moeller benickte das Kassenwort kostenträchtig heftig und nahm ihr Nicken beim Reizwort Planung merklich zurück. Sollte sie den Genossen Winifred beunruhigt haben, beruhigte ihn mein Parteiabzeichen sogleich. Diese Insignie signalisierte ihm, daß er womöglich nicht mit der Einsicht ihres Trägers rechnen könne, wohl jedoch mit dessen Disziplin. Den Einwurf Leonhard Bicks, die Überschrift Anderes Licht sei schon deshalb gut, weil eine
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