Oksa Pollock. Der Treubrüchige
geflügelten Raupen die andere.
»Und ob!«, erwiderte diese und vollführte eine Pirouette in der Luft. »Also dann, nichts wie los! Da gibt es sagenhafte Blumen mit herrlichen Blütenstempeln. Du wirst begeistert sein!«
Und damit flogen die beiden Raupen durchs offene Fenster und verschwanden in der Ferne. Oksa sah ihnen zufrieden hinterher.
»Bravo, Kleine Huldvolle!«, erklang da eine vertraute Stimme hinter ihr.
Sie spürte, wie sich ein Prickeln in ihrem ganzen Körper ausbreitete und ein Gefühl der Freude sie durchströmte. Trotz ihres Kummers. Trotz der Ungewissheit. Trotz allem. Mit leuchtenden Augen drehte sie sich um.
»Ach, da bist du ja«, sagte sie betont locker. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen!«
»Ich habe nur darauf gewartet, dass du deine geflügelten Anstandsdamen loswirst«, antwortete Tugdual spöttisch. In T-Shirt und schwarzer Hose lehnte er lässig an der Säule in der Mitte des Zimmers.
»Geht es dir gut?«, fragte Oksa leise. »Waren die Wände nicht … zu dick?«
Bei dieser absurden Frage mussten beide lachen – nervös, erleichtert und froh zugleich.
»Abakum lässt dich grüßen, meine Großeltern ebenfalls, und auch die Bellangers, meine Mutter und Till«, berichtete Tugdual.
Oksa pfiff bewundernd.
»Wow, du hast ja eine ganz schöne Strecke zurückgelegt!«
»Ich kann doch nicht zulassen, dass du als Einzige in den Genuss dieser sagenhaften Gemächer kommst!«, antwortete er und ließ den Blick durch ihr riesiges Zimmer wandern. »Das ist eindeutig der größte und schönste Raum, Glück gehabt.«
»Das Privileg der Huldvollen …«, entgegnete sie.
Völlig unerwartet machte Tugdual einen Satz und stand plötzlich dicht vor ihr. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, sah sie lange an und gab ihr dann einen sanften Kuss.
»Mein Privileg«, flüsterte er.
Oksa schmiegte sich eng an ihn und legte ihre Stirn an seine. So standen sie eine Weile reglos da.
»Los, komm mit«, sagte Tugdual schließlich und zog sie hinter sich her zur Tür. »Ich will dir was zeigen.«
Ein Ausflug in die Tiefe
O
ksa und Tugdual standen sich im Aufzug gegenüber und konnten den Blick nicht voneinander lassen. Sie hatten sich als gutes Team erwiesen, alles war sehr schnell gegangen: Ein simples Dormodens, von Oksa abgefeuert, hatte die beiden Hellhörigen im Gang in Schlaf versetzt, während Tugdual den einzigen menschlichen Wächter mit einer Arboreszens gefesselt hatte.
»Der hat überhaupt nicht kapiert, was los ist«, sagte Oksa, während der Aufzug abwärtssauste.
Tugdual lächelte nur. Seine eisblauen Augen strahlten, und auf seinem Gesicht war keine Spur von Niedergeschlagenheit zu sehen. Mittlerweile konnte Oksa diesen Ausdruck als Maske erkennen, ohne jedoch zu wissen, was sich eigentlich dahinter verbarg. Wie im Sitzungssaal erblickte sie jetzt auch das einzige äußere Anzeichen für seine Erregung: An seiner Schläfe pochte eine Ader dicht unter der Haut. Sie legte sanft den Finger darauf – ihre Art, Tugdual zu zeigen, dass sie für ihn da war. Er nahm ihre Hand, legte sie an sein Gesicht und drückte dann einen Kuss auf ihre Handfläche. Oksa hätte stundenlang so stehen bleiben können. Doch schließlich hielt der Fahrstuhl, und die Türen glitten auf. Oksa sah Wände aus einem unbehauenen, seltsam schimmernden Stein.
»Wir sind im ersten Untergeschoss der Säule, Kleine Huldvolle«, teilte Tugdual ihr mit. »Der Fahrstuhl endet hier, aber es gibt noch sechs weitere Stockwerke unter diesem.«
»Woher weißt du das?«
Tugdual lächelte.
»Zu irgendetwas müssen unsere Mauerwandler-Fähigkeiten schließlich gut sein, oder?«
Er führte sie in einen breiten, abschüssigen Gang, in dem man automatisch ins Rennen geriet. Nachdem sie einmal umgeknickt war, hakte sich Oksa bei Tugdual unter, dann beschlossen sie zu vertikalieren. Das Licht, das ohne deutliche Quelle von überall kam, tauchte alles um sie her in einen sanften milchigen Schimmer. Es war märchenhaft schön. Zum ersten Mal, seit sie in Edefia war, fühlte Oksa sich leicht und frei. Sich so neben Tugdual herzubewegen, war eine wunderbare Erholung für sie. Für einen Moment vergaß sie alles, was ihr Leben in letzter Zeit in einen Albtraum verwandelt hatte. Dann holte die Wirklichkeit sie wieder ein.
Sie bewunderte das unglaubliche Schimmern überall um sie her.
»Wo dieses Licht wohl herkommt?«, fragte sie.
»Es kommt aus der Tiefe und wird von dem durchsichtigen Gestein milliardenfach
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