Oksa Pollock. Der Treubrüchige
beklemmende Gefühl.
Orthon öffnete eine Tür. »Hier entlang!«, befahl er.
Sie traten durch die Türöffnung, und unsichtbare Schlösser verriegelten sich wieder hinter ihnen. Vor ihnen lag ein gigantischer, als Labor eingerichteter Saal. Ein Destillierkolben, der ebenso imposant war wie der von Dragomira, thronte in der Mitte des Raumes. An den Wänden reihten sich Flaschen, Fläschchen, Reagenzgläser und Phiolen in allen Formen und Größen auf. Kisten voll Felsbrocken und Kristallen waren an der hinteren Wand abgestellt worden. Orthon legte seinen Sohn auf ein Feldbett, durchsuchte hastig eine große Kommode und schleuderte dabei die Hälfte ihres Inhalts zu Boden. Er holte ein mit einer golden schimmernden Flüssigkeit gefülltes Fläschchen heraus. Dragomira trat neugierig näher.
»Ein selbst gebrauter Trank«, beantwortete Orthon ihre stumme Frage. »Quellwasser vom Yellowstone River mit mazeriertem Malachit, um die Schmerzen zu absorbieren, einem Splitter Labradorit aus Madagaskar gegen die Erschöpfung und einem Bruchstück Aragonit aus Saragossa, um die Heilung von Knochenbrüchen anzuregen. Doch die letzte und wichtigste Zutat erlaube ich mir, dir zu verschweigen, verehrte Schwester …«
Bei diesen Worten beugte er sich zu Mortimer hinunter, öffnete seinen Mund und flößte ihm ein wenig von dem Trank ein. Einen Augenblick später hob der Junge verwirrt den Kopf, sein Gesicht war übersät mit blauen Flecken. Bei Dragomiras und Pavels Anblick zuckte er zurück und kauerte sich auf der Liege zusammen. Sofort legte Barbara beruhigend den Arm um ihn. Er stöhnte vor Schmerzen.
»Nimm noch ein paar Tropfen«, sagte Orthon und hielt ihm das Fläschchen hin.
Mortimer sah unverwandt zu Zoé und nahm noch einen kleinen Schluck. Ohne sie aus den Augen zu lassen, rekelte er sich – sichtlich froh, wieder im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein. Dann sprang er behände von der Liege. Die Rette-sich-wer-kann konnten sich nur über seine schnelle Erholung wundern.
»Edelsteine haben doch eine erstaunliche Kraft, nicht wahr?«, sagte Orthon.
Dragomira, die sich über seine Arroganz ärgerte, entgegnete spitz: »Vielleicht kommt sie sogar der Kraft der Pflanzen gleich.«
Orthon warf einen süffisanten Blick auf Gus. »Warum nimmst du dann nicht selbst die Heilung dieses armen Jungen in die Hand, verehrte Schwester?«
Dragomira zwang sich zu einer sachlichen Antwort.
»Du bist für seinen Zustand verantwortlich«, sagte sie ruhig, »und wir wissen, dass du ein Gegengift besitzt. Du hast gehört, was die Alterslose gesagt hat, die Zeit drängt. Warum sollte ich also kostbare Zeit verschwenden, um ein Mittel zusammenzurühren, über das du schon verfügst? Und falls du versucht sein solltest, uns irgendwie unter Druck zu setzen: Vergiss nicht, dass du damit die Zukunft beider Welten aufs Spiel setzen würdest, also auch deine eigene!«
»Ach, Dragomira, beste Dragomira!«, seufzte Orthon. »Vor lauter Ärger siehst du schon überall Gespenster. Wie könnte ich nur so verantwortungslos sein?«
»Wie könntest du nur, in der Tat!«
Bei diesen Worten beugte sich Dragomira über Gus, der mittlerweile auf einem zweiten Feldbett lag. Seine Eltern und Abakum saßen auf Hockern an seiner Seite. Jeanne hielt seine Hand fest und ließ ihn nicht aus den Augen, genauso wenig wie der kleine Plemplem, der auf die Liege gekrabbelt war und sich nun zusammengerollt an ihn schmiegte.
Dragomira musste mühsam ihre Wut unterdrücken. »Erklärst du uns nun endlich, was mit ihm los ist?«, fragte sie.
»Ganz einfach«, frohlockte Orthon. »Das Gift meiner lieben kleinen Chiropter breitet sich gerade in den Adern dieses unglückseligen Jungen aus. Das hat zur Folge, dass er besonders empfindlich auf alle Schall- und Infraschallwellen reagiert, egal ob sie von Menschen, der Natur oder irgendwelchen Maschinen erzeugt werden. Ein besonders heimtückisches Verfahren, das, nebenbei bemerkt, die CIA zur Erfindung ganz neuartiger Waffen angeregt hat … Euer junger Schützling erleidet so heftige Schmerzen, dass sein Körper es vorzieht, sich in die Bewusstlosigkeit zu flüchten.«
Pierre wäre Orthon am liebsten an die Kehle gegangen.
»Es vorzieht?!«, rief er.
»Gib ihm das Gegengift!«, befahl Dragomira. »Sofort!«
Orthon lachte hämisch.
»Wenn das so einfach wäre, verehrte Schwester! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich ein derart simples Verfahren entwickelt hätte? Nicht doch … Dein Schützling gleitet
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