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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Sie flogen zu Gus und griffen ihm unter die Achseln, um ihn zur Liane zu bringen.
    »Es geht los!«, rief Tugdual und fing an, die Steilwand mit bloßen Händen hinaufzuklettern.
    Der Aufstieg zog sich furchtbar in die Länge, vor allem für Gus, den das Klettern mehr Kraft kostete, als er zugeben wollte. Doch auch Tugdual strengte es sehr an. Zum einen musste er sich ständig um den Nachschub an Lianen kümmern, und zum anderen hatte er sich in den Kopf gesetzt, dass Gus nichts passieren durfte. Die Aufmerksamkeit, die er jeder von Gus’ Gesten – einschließlich all seiner kleinen Fehlgriffe – schenken musste, zehrte an seinen Kräften. Gus war wirklich kein guter Kletterer, erst recht nicht unter diesen Umständen. Hinzu kam, dass die Arboreszens zwar auf direkterem Weg nach oben führten, als wenn man sich von einem Vorsprung zum nächsten hangeln musste, aber sie waren auch viel glitschiger als der Fels. Zum Glück waren die Froschlinge eine große Hilfe. Sie hielten den Jungen fest und verhinderten einen Absturz, der tödlich hätte ausgehen können. Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit kam das Wackelkrakeel vorbei, erkundigte sich, wie sie vorankamen, und ermutigte sie im Namen aller Rette-sich-wer-kann.
    »Die Junge Huldvolle lässt ausrichten, dass Ihr durchhalten sollt. Ihr habt es bald geschafft!«
    »Sag ihr, wie nett das von ihr ist«, stieß Tugdual mühsam hervor. »Wie weit ist es noch, Krakeel?«
    »Nur noch zweihundertvierzig Meter, Enkel der Knuts.«
    Gus stöhnte, als er das hörte. Zweihundertvierzig Meter! Seine Lunge schmerzte, seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, und die Staubkörnchen, die in dieser Tiefe wieder anfingen zu glühen, brannten ihm in den Augen. Dazu verspürte er die größte, sagenhafteste, ungeheuerlichste Lust zu schlafen – so schlimm, dass er mit jeder Faser gegen den Schlaf ankämpfen musste. Die Angst, einzuschlafen, war noch größer als die vor der bodenlosen Leere unter ihm.
    »Bist du nicht müde, Tugdual?«
    Der Spinnenjunge drehte sich abrupt um und sah ihn besorgt an.
    »Überhaupt nicht«, sagte er, wobei er Gus verschwieg, dass er mehrere Tage hintereinander wach bleiben konnte, ohne müde zu werden.
    Tugdual fragte sich, wie lange Gus schon nicht mehr geschlafen hatte. Er war den Rette-sich-wer-kann von Anfang an gefolgt und hatte sich ihrem Tempo angepasst, und niemand schien sich je gefragt zu haben, ob er das schaffen würde. Fast verspürte er so etwas wie Mitgefühl für ihn.
    »Soll ich dir mal was sagen?«
    »Du kannst es ja versuchen«, murmelte Gus.
    »Diesmal finde ich dich ganz schön tapfer.«
    »Danke«, sagte Gus bescheiden. »Hast du nicht zufällig irgendetwas dabei, um mich wachzuhalten?«
    Tugdual überlegte und durchsuchte seine Taschen. »Leider nicht. Aber dreh dich mal um und schau zur Felswand gegenüber, der Anblick rüttelt dich bestimmt wach …«
    Gus klammerte sich an die Liane, drehte den Kopf zur Seite und sah eine tiefe Ausbuchtung im Fels. Ganz hinten in der Nische entdeckte er die vertraute Gestalt einer riesigen Leodechse, deren massiger Körper sich in tiefem Schlaf hob und senkte. Um ein Haar hätte er die Liane losgelassen. Tugdual hatte also nicht gelogen …
    »Wir halten uns hier besser nicht allzu lange auf, oder was meinst du?«
    »Schon klar«, stimmte Gus zu und kletterte weiter.
    Als sie endlich so weit nach oben geklettert waren, dass sie den blasslila Himmel wieder sehen konnten, waren beide Jungen zutiefst erleichtert. Die Rette-sich-wer-kann oben am Rand des Spalts sprachen mittlerweile vorsichtshalber kein Wort mehr, seit das Wackelkrakeel ihnen mitgeteilt hatte, dass dort unten in den Tiefen einer Felsnische eine Leodechse schlafe. Sie behielten die Kluft im Blick, konnten jedoch überhaupt nichts erkennen.
    Laut den Schätzungen des Wackelkrakeels waren es zu Tugduals Freude nur noch etwa vierzig Meter bis nach oben: Eben hatte er die letzte Phosphorille verbraucht. Zum Glück drang das Licht nun bis zu ihnen herunter. Tugdual konnte erkennen, dass Gus sich mit letzter Kraft gegen die körperliche Erschöpfung und den Schlaf, der ihn zu übermannen drohte, wehrte.
    »Wir haben es fast geschafft, Gus!«
    Er nahm sein Granuk-Spuck und wollte eine weitere Arboreszens hinaufschießen, doch das Blasrohr kam seiner Aufforderung nicht nach. Sein Vorrat an Granuks war aufgebraucht. Tugdual dachte nach. Es gab nicht viele Möglichkeiten: Entweder er bat Abakum mit seinen Teleskop-Armen um Hilfe oder er

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