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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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sich die Kindheitsfreundschaft zu meinem liebsten Spielgefährten in tiefe Liebe verwandelt hatte. Und als Leomido mir gestand, dass sich auch seine Gefühle so entwickelt hatten, war das der glücklichste Tag in meinem Leben. Unsere Liebe füreinander kam bald an den Tag, und von da an nahm unser Unglück seinen Lauf.
    Ohne dass wir verstanden hätten, weshalb, taten Malorane und Ocious alles, um uns auseinanderzubringen. Zuerst stellte Malorane Leomido reihenweise junge Damen vor, eine hübscher als die andere, und mein Vater machte mit mir dasselbe und arrangierte ein wahres Defilee von jungen Männern, die angeblich ganz verrückt nach mir waren. Leomido und ich haben viel darüber gelacht, das Ganze amüsierte uns bloß, wir waren ja so naiv … Und während wir noch nichts Böses ahnten, gingen unsere Eltern bereits zu drastischeren Maßnahmen über. Meine Familie zog ans entgegengesetzte Ende Edefias – offiziell, weil mein Vater sich so besser um die Verwaltung von Steilfels, dem Gebiet der Handkräftigen, kümmern konnte. Bald darauf wurde mir klar, dass dieser Umzug dazu diente, Leomido und mich zu trennen. Natürlich tat es mir weh, meinen Geliebten nun viel seltener zu sehen, doch ich habe mich aus Gehorsam meinem Vater gegenüber gefügt. Er war ein brillanter Mann, aber von düsterem Wesen und sehr autoritär. Viele fürchteten ihn. Was mich anging, so war er nun mal mein Vater, und mein Pflichtgefühl hinderte mich daran, nachzudenken und mir die Fragen zu stellen, die ich mir eigentlich hätte stellen müssen. Andererseits war ich verliebt, und die Sehnsucht nach meinem Geliebten war die reinste Qual. Leomido und ich trafen uns also heimlich. Diese Stunden vergingen immer so schnell. Wenn wir uns Lebewohl sagten, fühlten wir uns jedes Mal noch trauriger und zerrissener als beim vorigen Treffen. Warum nur versuchte man, uns auseinanderzubringen?
    Eines Tages wurden wir von meinem Bruder überrascht. Ich hatte mich mit Leomido in einem der Häuser, die der Familie der Huldvollen gehörten, getroffen, einem schönen Anwesen, das versteckt im Wald von Grünmantel lag. Wir hatten uns gerade wieder aufs Neue die Treue geschworen und uns gegenseitig Mut zugesprochen, als plötzlich Orthon vor uns stand. Noch nie hatte ich ihn so zornig gesehen. Seine Worte waren voller Hass, es lag eine Grausamkeit darin, die mir bisher nie an ihm aufgefallen war. Leomido war für Orthon immer wie ein Bruder gewesen. Ein Bruder, den er bewunderte und gleichzeitig beneidete. An diesem Tag aber kam in ihm ein blindwütiges Tier zum Vorschein. Ich verstand überhaupt nicht, was da vor sich ging, es kam mir alles vollkommen überzogen und absurd vor. Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass ich Leomido liebte und mit ihm mein Leben verbringen wollte. Da wagte er es, die Hand gegen mich zu erheben. Ich verspürte einen unerhörten Schmerz, doch der war nichts im Vergleich zu der Furcht und Bitterkeit in meinem Herzen. Es gab zwar in meinem späteren Leben noch schlimmere Augenblicke, doch dieser Vorfall ist mir immer qualvoll in Erinnerung geblieben, denn damals ist etwas in mir ein für alle Mal zerbrochen: Mein Zwillingsbruder, dem ich immer nahegestanden hatte, hatte mich geschlagen, und das nur, weil ich gegen den Willen unseres Vaters einen jungen Mann liebte. Wutentbrannt stürzte sich Orthon auf Leomido, der jedoch, obwohl jünger, bei Weitem der Stärkere von beiden war. Mein Bruder zog sich bei dem Kampf eine gebrochene Nase und einige Blutergüsse zu, vor allem aber war er unheilbar in seinem Stolz gekränkt.
    Von diesem Tag an wurde mein Leben zur Hölle. Mein Bruder und mein Vater überwachten mich pausenlos und ließen sich unzählige Strategien einfallen, um mich davon zu überzeugen, dass Leomido nicht der war, den ich in ihm sah. Es reichte von Überredungsversuchen über Drohungen bis hin zu Erpressung. Leomido musste dasselbe seitens seiner Mutter erdulden. Es war, als ob sich unsere Eltern verschworen hatten. Ich litt furchtbar darunter. Aber ich ließ mich auch nicht von den niederträchtigen Winkelzügen Orthons, Ocious’ und Maloranes beeinflussen. Ich liebte Leomido, das allein zählte. Mithilfe einiger uns noch verbliebener Freunde gelang es uns hin und wieder, uns zu sehen. Ansonsten hatten unsere Eltern dafür gesorgt, dass wir zunehmend von der Außenwelt isoliert waren, ich mehr als Leomido. Die meiste Zeit verbrachte ich eingesperrt in unserem Haus – wir bewohnten inzwischen eine luxuriöse, mit

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