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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Gus zurück. »Du bist da bestimmt wieder ganz in deinem Element! Je ätzender das Ganze ist, umso wohler fühlst du dich ja!«
    Tugdual zuckte mit den Schultern.
    »Auch wenn du es mir nicht glaubst: Ich freue mich keineswegs auf das, was uns da erwartet«, gab er ernst zurück.
    »Das ist jetzt nicht der Moment, um sich zu streiten«, unterbrach Pavel die beiden. »Tugdual hat schon recht: Es bringt nichts, noch länger abzuwarten.«
    »Es ist so schön hier«, sagte Oksa leise.
    »Ich weiß«, gab Pavel zu und fasste ihre Hand, um sie zu drücken. »Aber wir wollen doch vor allem eins: aus diesem Gemälde herauskommen, oder nicht? Und das werden wir nicht, wenn wir hier nur herumsitzen.«
    Da konnte niemand widersprechen. Und wie um die Worte seines Freundes zu unterstreichen, zog Abakum sein Granuk-Spuck hervor und sprach mit tiefer Stimme:
    Reticulata, Reticulata! –
    Und das Ferne sei mir nah.
    Er wartete, bis die quallenartige Blase aus dem Rohr gequollen war, und hielt sie dann unter den Wasserfall. Das herabstürzende Wasser sammelte sich darin, und die durchsichtige Hülle der Reticulata blähte sich unter dem Druck immer mehr auf. Auch die anderen zogen nun ihre Granuk-Spucks heraus und folgten seinem Beispiel. Währenddessen stellte sich Gus unter die Bäume, die sich alle darum rissen, sich zu ihm hinunterzubeugen und ihm ihre Früchte förmlich in die Hände zu legen. Als die Taschen aller Rette-sich-wer-kann prall gefüllt waren, blieb Gus noch einmal am Grab der Plempline stehen. Das Herz wurde ihm schwer. Er wollte gern etwas zum Ausdruck bringen – einen Dank? ein Bedauern? ein Versprechen? –, doch die Worte blieben in seiner Brust stecken und erstickten ihn beinahe. So trottete er schließlich mit niedergeschlagenem Blick zu den anderen zurück.
    »Komm, mein Junge«, sagte sein Vater zu ihm. »Du trägst meine Vorräte, ich nehme den Kapiernix.« Und er zurrte die Trage auf seinem Rücken fest.
    Als der Kapiernix seinen Platz eingenommen hatte, blickte er sich suchend um.
    »Wo ist denn diese nette alte Dame mit den hochgesteckten geflochtenen Zöpfen geblieben?«, fragte er plötzlich. »Ich habe bei ihr gewohnt, bevor wir hierher umgezogen sind. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Ich hoffe doch, sie ist nicht verstorben.«
    Pavel fuhr sich bestürzt mit der Hand übers Gesicht, während Oksa den Kapiernix entsetzt ansah. Wenn das nur keine Prophezeiung war! Abakum schien wieder einmal in ihren Gedanken zu lesen, denn er sagte mit betont fester Stimme: »Der Kapiernix besitzt keinerlei Intuition. Er hat seine Qualitäten und Fähigkeiten, aber er ist ein Geschöpf bar jeglichen Instinkts. Mach dir keine Sorgen.«
    Aber Oksa merkte sehr wohl, dass die Bemerkung des Geschöpfs nicht nur sie selbst verunsichert hatte. Auch Abakum wirkte beunruhigt, trotz seiner demonstrativ gezeigten Zuversicht. Und als wolle die Sensibylle dem Ganzen noch die Krone aufsetzen, streckte sie den Kopf unter Abakums Jacke hervor und rief: »Der Verrat spielt sein Spiel und gewinnt mit jeder Minute an Macht!«
    Abakum schob das kleine Huhn unter seine Jacke zurück und ging mit entschlossenen Schritten auf den Wasserfall zu. Die übrigen Rette-sich-wer-kann fassten einander an den Händen und folgten dem Feenmann. Oksa schaute noch einmal zu dem kleinen Grabhügel, unter dem die Plempline ruhte. Dann durchquerte sie an der Hand ihres Vater den Vorhang aus Wasser.

Die Subtraktion der Hälfte
    Z
wei Tage lang hatte Dragomira das Bett gehütet und sich mehr schlecht als recht vom Überfall der Treubrüchigen erholt. Ihre körperlichen Blessuren waren dank ihres heilkundlichen Wissens gut versorgt, vor allem die zahlreichen Schnittwunden, die Catarinas Tornaphyllon-Granuk verursacht hatte, aber auch die Folgen des Faustschlags von Mercedica. Doch gegen ihren Seelenschmerz halfen keine Tinktur und keine Salbe. Schlimmer hätte es kaum kommen können: Die Treubrüchigen hatten nicht nur Marie entführt – was eine furchtbare Tragödie war –, sondern waren nun auch noch im Besitz des Medaillons und einer Goranov-Pflanze.
    »Was bin ich nur für eine Idiotin!«, seufzte sie zum hundertsten Mal an diesem Tag.
    Auf einem Sofa ausgestreckt, sah sie zu, wie Zoé ihr die Filigrinnen auf die tiefen Schnittwunden an den Armen setzte.
    »Die Alte Huldvolle darf sich nicht mit all diesen Vorwürfen belasten«, mahnte der Plemplem.
    »Ich war so unvorsichtig«, fuhr die alte Dame dennoch fort und betastete ihr

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