Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
erfordert. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass Ihnen keinerlei Leid geschehen wird, allerdings nur unter einer Bedingung: dass Sie mir mit größter Aufmerksamkeit zuhören. Ich hoffe, Sie haben so weit keine Einwände, Mister President?«
Der Präsident zerrte vergeblich an seinen Fesseln und schaute sein Gegenüber mit großen Augen an.
»Es wäre mir auch lieber gewesen, wenn unsere Begegnung anders hätte ablaufen können, glauben Sie mir …« Orthons Blick blieb an einem hufeisenförmigen Briefbeschwerer hängen, und er schwieg einen Moment, als wäre er in Gedanken versunken.
»Aber das Wie ist nicht so wichtig. Sagen wir lieber, dass heute für uns beide ein Glückstag ist. Endlich lernen wir uns kennen … Soll ich Sie vielleicht entknebeln?«
Der Präsident nickte nur kurz. Das Insekt, das ihm mit seinen winzigen Krallen den Mund verschloss, war ihm äußerst unangenehm. Orthon lehnte sich entspannt zurück und sprach die nötige Formel:
Mit Granuk-Kraft
Ergieß deinen Saft!
Mit deinen Klauen knebelst du,
Mit deinen Flügeln entsiegelst du.
Sofort flog das Insekt in das Blasrohr des Treubrüchigen zurück, während der nach wie vor durch die Arboreszens-Liane gefesselte Präsident ihm entgeistert mit dem Blick folgte.
»Wer sind Sie?«, stieß er atemlos hervor.
Orthon hob die Hand.
»Oh, Ihre Neugier ehrt mich«, erwiderte er mit seinem schrecklichen selbstzufriedenen Grinsen. »Aber wissen Sie, Mister President, ich bin ein Freund der Diskretion. Da Sie mir jedoch sympathisch sind, dürfen Sie mich Meister nennen.«
»Das ist ja wohl die Höhe!«, gab der Präsident zurück und seine Stimme bebte vor mühsam unterdrücktem Zorn. »Was wollen Sie?«
»Was ich will? Das habe ich schon gesagt: dass wir uns kennenlernen. Nur, dass wir uns kennenlernen. Und wenn Sie mich erst ein bisschen besser kennengelernt haben, dann werden wir die besten Freunde der Welt sein.«
»Das bezweifle ich sehr.«
Orthons Pupillen weiteten sich, bis seine Augen komplett schwarz waren und die im Garten fallenden Schneeflocken sich darin spiegelten. »Die größten Freundschaften beginnen oft mit kleinen Differenzen«, gab er zurück.
»Das hier scheint mir ernst genug, um jegliches Verständnis von vornherein unmöglich zu machen …«
Anstatt sich aufzuregen, legte Orthon die Unterarme auf den Sessellehnen ab und schlug lässig die Beine übereinander.
»Ich versichere Ihnen, dass wir beide wie füreinander geschaffen sind«, fuhr er in ironischem Ton fort. »Darf ich Ihnen raten, einen Blick auf die Internetseite der New Yorker Börse zu werfen? Ach, entschuldigen Sie, Sie sind ja momentan in Ihrer Beweglichkeit etwas eingeschränkt«, fügte er mit einem spöttischen Blick auf die gelblichen Lianen hinzu. »Mein Sohn wird Ihnen etwas zeigen, das Sie bestimmt überzeugen wird.«
Gregor trat zum Schreibtisch und drehte den Bildschirm so, dass der mächtigste Staatschef der Welt ihn gut sehen konnte. Dann tippte er rasch ein paar Befehle in die Tastatur. Orthon zog sein Mobiltelefon aus der Innentasche seines schwarzen Parkas.
»Tom, würdest du bitte sämtliche bei amerikanischen Konzernen verfügbaren Erdölvorräte aufkaufen?«
Eine Stimme drang knisternd aus dem Telefon.
»Bis zu welchem Preis ich gehen will?«, fragte Orthon amüsiert. »Wie üblich. Ganz egal!«
Er klappte das Telefon zu und bedeutete dem Präsidenten, seine Aufmerksamkeit lieber auf den Bildschirm zu richten statt auf ihn.
»Dort spielt die Musik«, sagte er.
Einige Sekunden später zeigten sich auf der Webseite die ersten Anzeichen von Panik. Die Zahlenkolonnen färbten sich vor den Augen des konsternierten Präsidenten rot.
»Nun bin ich also im Besitz großer Schätze!«, rief Orthon aus. »Was soll ich bloß mit dem ganzen Erdöl anfangen? Wie wäre es mit einer gigantischen Ölpest vor Ihren phantastischen kalifornischen Stränden? Oder lieber ein gewaltiges Freudenfeuer in Las Vegas?«
»Sie bluffen!«, stieß der Präsident hervor. »Das ist bloß ein Trick.«
Als Antwort zog Orthon sein Telefon wieder heraus.
»Tom? Ich habe es mir doch anders überlegt. Du kannst das Öl wieder verkaufen, es ist so eine schmutzige Angelegenheit. Ich kaufe lieber Eisenerz. Kannst du das erledigen? … Ja, alles, was du kriegen kannst, natürlich!«
Einen Augenblick später leuchteten weitere Indizes rot auf, und während der Präsident entsetzt zusah, wurden die Börsen in New York und der ganzen Welt von einem Orkan mitgerissen,
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