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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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Hause.
    »Eine heiße Schokolade, das wäre jetzt das Richtige«, sagte das Mädchen.
    Der Junge beugte sich zu ihr. »Wir sind gleich da. Komm, ich wärme dich!«
    Das Mädchen blieb stehen, sah ihn verliebt an und küsste ihn auf den Mund.
    Sie waren so in ihren Kuss vertieft, dass sie nicht sahen, wie ein Kind aus dem Schatten eines Eingangstors trat. Als es plötzlich vor dem Mädchen stand, stieß dieses einen überraschten Schrei aus.
    »Was machst du denn hier draußen ganz allein? Du holst dir noch den Tod!«
    Angesichts seiner Größe konnte es nicht viel älter als acht Jahre sein. Es blieb reglos stehen, mit baumelnden Armen, den Blick auf den Boden gerichtet. Das Mädchen beugte sich zu ihm hinab und versuchte, sein Gesicht unter dem breiten Schirm seiner Kappe zu sehen.
    »Wo wohnst du denn, mein Kleiner?«, sagte sie leise, um das Kind nicht zu erschrecken.
    Langsam, unendlich langsam hob es den Kopf, und im Schein der einzigen Straßenlampe war sein Gesicht und das gierige Lächeln darin zu erkennen.
    Das Mädchen zuckte zusammen und stieß einen entsetzten Schrei aus. Sie packte ihren Freund beim Arm, der genauso erschrocken war wie sie. Beide wichen Schritt für Schritt zurück, bis ihnen plötzlich etwas den Weg versperrte.
    Langsam drehte sich der Junge auf dem Absatz um.
    Ein Kind, das exakt so aussah wie das erste, sah ihn mit demselben gierigen Lächeln an.
    Gleichzeitig sprangen die beiden Wesen dem Jungen und dem Mädchen an den Hals, schlangen ihre dünnen Beine unerbittlich um die Taille ihrer Opfer und küssten sie leidenschaftlich.
    Als es vorbei war, schüttelte der Junge ungläubig den Kopf und sah zu seiner Freundin hinüber, die genauso fassungslos war. Die Wesen hielten sich kleine Flaschen unter die Nase und fingen den dickflüssigen schwarzen Schleim auf, der ihnen in großer Menge aus den weit offenen Nasenlöchern rann. Schreckensstarr beobachteten die beiden Jugendlichen, wie sich auf ihren Gesichtern pures Entzücken ausbreitete. Und ihnen dämmerte, dass hier etwas vor sich ging, das ohne jeden Zweifel absolut … widernatürlich war.
    Plötzlich kehrten ihnen die Wesen den Rücken zu, stiegen hoch in den Himmel und nahmen die Erinnerung an die Begegnung mit dem verliebten Paar mit sich.
    Aber nicht nur das.
    Instinktiv trat der Junge näher zu seiner Freundin und wollte sie in die Arme nehmen. Doch sie verkrampfte sich und wich unauffällig zurück. Auch wenn ihre Reaktion kaum merklich war, entging sie dem Jungen nicht, und er blickte sie mit aufgerissenen Augen an.
    Was ihn jedoch am meisten erstaunte, war nicht die Ablehnung seiner Freundin.
    Nein.
    Was ihn am meisten erstaunte, war, dass ihm ihre Ablehnung gar nichts ausmachte.
    Denn tief in seinem Innern spürte er, dass auch er überhaupt keine Lust mehr hatte, sie an sich zu drücken, sie zu küssen, ihre Wange zu streicheln oder sie lachen zu hören.
    In betretenem Schweigen setzte das Paar seinen Weg durch die eisige Gasse fort. Es war höchste Zeit, nach Hause zu gehen. Es war ein so kalter Abend.
    Während sie jeder auf einer Seite des Sofas kauerten und eine heiße Schokolade tranken, zog eine winzige, aber erbarmungslose Armee von sechs Kindern durch die kleine Stadt.
    Sechs schweigende Kinder, die an die Türen klopften.
    In Häuser eindrangen.
    Den Bewohnern an die Kehle gingen.
    Kleine Flaschen mit Schleim füllten, der schwarz war wie Rohöl.
    Und mit glasigen Augen und Herzen, die kurz davor waren zu bersten, wieder verschwanden.

Die Spur konkretisiert sich
    Z
um Schluss noch eine Nachricht, die Wissenschaftler und Mediziner vor ein Rätsel stellt. In Castelac, einer Kleinstadt mit etwa siebzehntausend Einwohnern im Südwesten Frankreichs, grassiert seit einigen Tagen eine ebenso seltsame wie unerklärliche Epidemie. In kürzester Zeit wurden ungewöhnlich viele Scheidungsanträge gestellt. Fünfundsiebzig Prozent der Ehepaare in Castelac befinden sich bereits in Trennung. Gleichzeitig ist die häusliche Gewalt um das Fünfhundertfache angestiegen. Noch dramatischer ist die Tatsache, dass in den letzten Tagen vierzig Prozent der unter Fünfundzwanzigjährigen Selbstmordversuche unternommen haben, nachdem sie sich von ihrem Partner getrennt hatten. Bislang wurden zweiundvierzig Todesfälle gemeldet.
    Die überlasteten Ärzte, Anwälte und Polizisten forderten Verstärkung an und lenkten damit die Aufmerksamkeit auf das seltsame Phänomen. Castelac wurde unter Quarantäne gestellt. Die Armee bewacht alle

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