Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
und einer Frau, die in ein Gespräch vertieft waren, und einem jungen Mann mit zwei Grässlons.
»Dass es die gibt, hatte ich schon fast vergessen«, murmelte sie und drückte sich flach an die Wand. »Hässlich wie eh und je.«
Die Grässlons streiften sie mit ihren schleimigen, modrig riechenden Körpern. Einer von ihnen schrammte mit seinem verhornten Nagel über die Edelsteinwand, und das knirschende Geräusch ging Oksa durch Mark und Bein. Dem Plemplem richteten sich die Flaumhärchen auf, und er klammerte sich so fest an Oksas Hals, dass er ihr beinahe die Luft abgedrückt hätte.
»An der nächsten Verzweigung befinden sich fünf Hellhörige«, warnte das Wackelkrakeel seine Herrin. »Sie sind jetzt noch genau vierundzwanzig Meter und neunundfünfzig Zentimeter von uns entfernt.«
Oksa erstarrte vor Schreck, und der Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie hatte es schon mit einer Menge schrecklicher und Furcht einflößender Geschöpfe aufgenommen, mit Grässlons, Leodechsen und sogar mit den Sirenen der Lüfte, jenen niederträchtigen Wesen, die aus einer verstoßenen Alterslosen Fee hervorgegangen waren. Doch nichts bereitete ihr ein solches Unbehagen wie die Hellhörigen.
»Du bist unsichtbar, Oksa«, sagte sie sich, um sich Mut zu machen. »Du bist unsichtbar, also können diese ekligen Biester dir überhaupt nichts anhaben.«
Obwohl die Invisibellen sämtliche Geräusche, die Oksa machte, erstickten, wagte sie sich nur auf Zehenspitzen weiter vor. Sie sah bereits den Abzweig, der sie bis ins Innerste des Maßlosen Massivs führen würde, in die Höhle, in der Ocious sein Refugium eingerichtet hatte. Und wenn sie die Ohren spitzte, konnte sie das Surren der Hellhörigen hören. Sie holte tief Luft.
»Cool bleiben, Oksa, komm schon!«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
Ohne nach links oder rechts zu schauen, nahm sie die Abzweigung. Ihr Schritt war dabei fester, als sie gedacht hätte. Zwei Hellhörige, die offenbar sensibler waren als die anderen, näherten sich ihr und schnüffelten herum. Weil sie aber nichts entdecken konnten, kehrten sie wieder zu den drei anderen zurück. Oksa rieb sich die Hände.
»Geschafft!«, jubelte sie und marschierte mit neuem Elan ihrem Ziel entgegen.
Je weiter sie ins Herz des Massivs vordrang, desto heller wurde es. Das ließ sie vermuten, dass der Durchscheinende noch lebte. Vor Jahrhunderten hatten die Alterslosen Feen einen Bann der Abgeschiedenheit über die Angehörigen des fünften Stamms verhängt und verfügt, dass diese nur an einem Ort mit sehr hoher Lichtintensität überleben konnten. Bis zum Großen Chaos hatte das funktioniert, doch der Rückgang der Lichtintensität in den letzten Jahrzehnten hatte die Durchscheinenden fast vollständig ausgerottet. Nur ein einziger von ihnen war noch übrig, und er verdankte sein Überleben allein der Hartnäckigkeit von Ocious, der sich dem fünften Stamm seiner Vorfahren wegen verbunden fühlte.
Und dieser letzte Überlebende war jetzt irgendwo hier in der Nähe. Das Mädchen konnte seine widerliche Anwesenheit förmlich spüren. Sie betrat den großen Saal, in dem Zoé für immer des kostbarsten Guts beraubt worden war, das ein Mensch – abgesehen von seinem Leben – besaß: ihrer Liebesgefühle. Oksas Herz krampfte sich zusammen, als sie an ihre Freundin dachte. Sie blinzelte in dem unnatürlich grellen Licht und setzte wieder die Sonnenbrille auf. Dann ließ sie den Plemplem absteigen. Das Geschöpf klammerte sich verängstigt an ihr Bein.
»Halt dich an meiner Gürtelschlaufe fest und lass unter keinen Umständen los, okay?«, raunte Oksa ihm zu.
Der Plemplem gehorchte sofort. Auf keinen Fall durfte jetzt die Schicht aus Invisibellen aufreißen. Der bloße Gedanke daran ließ den kleinen Haus- und Hofmeister am ganzen Körper zittern.
»Die Dienerschaft meiner Huldvollen ist nicht aus dem Stoff eines Abenteurers gemacht«, jammerte er.
»Ach was, du schlägst dich doch ganz tapfer!«
Mit seinen eindrucksvollen Proportionen erinnerte der Saal an den im siebten Untergeschoss der Gläsernen Säule. Und er besaß eine akustische Besonderheit: Tausende Kubikmeter Fels umhüllten ihn und dämpften jeglichen Laut. Oksas Blick wanderte über die kunstvollen Mosaiken an den Wänden. Auf einem Grund aus Lapislazuli waren aus winzigen silbernen Steinen Tierfiguren oder Darstellungen des Sonnensystems abgebildet. Außer dem Eingang, durch den Oksa gekommen war, schien es keinen weiteren Zugang zu
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