Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
Vom Netzwerk:
nicht geschminkt, wodurch sein Gesicht und sein klarer Blick viel heller wirkten. Er war fast nicht wiederzuerkennen. Abgesehen von der Jeans trug er zwar immer noch schwarze Kleider, doch die vielen Halsketten mit Kreuzen daran fehlten. Nur zwei Piercings, eins an der Augenbraue, das andere im linken Nasenflügel, hatten die Transformation überlebt.
    Oksa starrte ihn an, gebannt von der kühlen Schönheit und der tiefen Traurigkeit, die er ausstrahlte. Vor ein paar Wochen hatte er ihr erzählt, wie sehr er es bedauerte, dass die Leute nur sein Äußeres sahen. Jetzt, in diesem Moment, verstand Oksa, was er damit hatte sagen wollen. Doch ihn so zu sehen, wie er wirklich war, ohne Schminke, ohne Maske, verunsicherte sie auf unerwartet heftige Weise.
    »Ich wusste nicht, dass du auch hier bist«, sagte Oksa und lief dabei rot an.
    »Eine Art Therapieaufenthalt«, erwiderte er knapp.
    »Du siehst gut aus.« Oksa stellte überrascht fest, dass sie sich freute, diesen eigenartigen, verwirrenden Jungen wiederzusehen. Dass sie sich sehr freute, um genau zu sein.
    »Geht es dir besser?«, fragte sie vorsichtig und versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen.
    »Besser? Ja, so könnte man das wohl ausdrücken«, antwortete Tugdual und streckte die Arme vor sich aus. »Und du? Wie geht’s dir?«
    »Mir? Ich bin vorhin völlig idiotisch gegen das Dach von Abakums Silo geknallt. Ich bin wie eine Rakete in die Höhe geschossen – und peng! Ansonsten habe ich das Gefühl, seit ein paar Wochen im Fieberwahn zu leben. Als ob ich in irgendeinem abstrusen Film gelandet wäre.«
    »Kein Wunder«, sagte der Junge verständnisvoll. »Man muss schon ziemlich bodenständig sein, um da nicht durchzudrehen. Ich war es damals nicht. Und im Vergleich zu dem, was du gerade erlebst, war das gar nichts.«
    »Warum?«
    »Na, weil du die Unverhoffte bist! Du bist die Stärkste von uns allen. Du bist diejenige, die uns retten wird«, erwiderte Tugdual, ohne den Blick von ihr zu wenden. »Sieh mal, alle Rette-sich-wer-kann sitzen wie auf glühenden Kohlen, seit sie wissen, dass du das Mal trägst.«
    »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was du mir da gerade sagen willst. Ich werde überhaupt niemanden retten.«
    »Doch, Kleine Huldvolle. Denk an das, was ich dir beim letzten Mal gesagt habe. Ich habe lange darüber nachgedacht. Du scheinst dir dessen nicht bewusst zu sein, aber du wirst uns retten, weil du nämlich den letzten Schlüssel besitzt. Den, der uns noch gefehlt hat. Und der letzte Schlüssel bedeutet die höchste Macht. Orthon hat das kapiert. Er hat angefangen, das totale Chaos zu verbreiten, und ich bin überzeugt, dass sich viele Leute in dieser Welt seiner Sache anschließen könnten. Ganz zu schweigen von der Armee, die er erwähnt hat. Ich weiß, wovon ich rede, das kannst du mir glauben. Pass gut auf dich auf, Kleine Huldvolle. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
    Oksa fröstelte. Tugdual redete ganz sachlich, ohne jenen besserwisserischen Ton, den sie bei ihren bisherigen Begegnungen gelegentlich gespürt hatte. Sie konnte sogar eine gewisse Sorge in seinem Blick ausmachen.
    »Ist alles okay bei dir, Tugdual?«
    »Du meinst, wegen meiner ausgeprägten Paranoia und meinem krankhaften Hang zum Morbiden?«, fragte er ironisch. »Also, ob du es glaubst oder nicht: Es geht mir deutlich besser. Abakum hatte eine ziemlich harte Nuss zu knacken an mir, aber er ist der Einzige, der mich versteht. Ehrlich, der Typ ist genial.«
    Als Abakum die beiden zum Essen rief, herrschte in dem riesigen Zimmer im Erdgeschoss helle Aufregung: Der Getorix spielte gerade eine Partie Tischfußball mit der Merlikokette. Um sie herum hatte sich eine kleine Zuschauerschar gebildet: Der Kapiernix, die sechs Froschlinge, die zwei Sensibyllen und das Wackelkrakeel feuerten die beiden Spieler lauthals an. Alle waren völlig von der Rolle, außer Abakum, der offensichtlich an das lautstarke Treiben seiner Geschöpfe gewöhnt war und in aller Ruhe in der Küche hantierte. Um ihn herum schwebten allerlei Utensilien, Schneebesen, Kochlöffel, Buttermesser, und flogen ihm, je nach Bedarf, in die Hand. Leider wurde diese Unbekümmertheit nicht von allen Anwesenden geteilt: Nicht weit vom Hausherrn entfernt, auf der Arbeitsplatte, stand die Goranov-Mutter und wurde zusehends nervöser.
    »Man will mich umbringen, ganz sicher! Ich lasse mir von keinem das Gegenteil weismachen, niemals! Was bedeutet bloß dieser ganze Lärm? Ein Aufstand? Eine Revolution? Ein

Weitere Kostenlose Bücher