Oksa Pollock. Die Unverhoffte
langsam.
Alle vier sahen sich schweigend an, während ihnen langsam aufging, was Pavel da gerade gesagt hatte.
Plötzlich stieß Dragomira einen spitzen Schrei aus: »DIE SEIFE!«
»Die Seife?«, fragten Pavel und Marie im Chor, und Oksa biss sich verzweifelt die letzten Reste ihrer Fingernägel ab.
»Wo ist die Seife, die Oksa von dieser Zoé zum Geburtstag bekommen hat?«, fragte Dragomira angespannt.
»Die hat Oksa wegen ihrer Glyzerinallergie mir gegeben«, antwortete Marie schreckensbleich. »Und ich habe sie seither jeden Tag benutzt …«
Abakums und Dragomiras Urteil war eindeutig. Die Untersuchungen, die sie an dem noch übrigen Stückchen Seife angestellt hatten, bestätigten ihre Befürchtungen: Das Geschenk von Zoé war vergiftet. Es war für Oksa bestimmt gewesen, um sie zu schwächen. So hätte McGraw leichtes Spiel mit ihr gehabt, wenn er sie entführen wollte, wie er es vorzuhaben schien. Doch dann war jemand anders, nämlich Marie Pollock, Opfer dieses perfiden Plans geworden. Das erklärte natürlich auch, weshalb Marie so plötzlich erkrankt war.
»Ziemlich clever«, erläuterte Abakum das Ergebnis seiner Untersuchungen. »Orthon hat der Seife Rubigo nervosa-Essenz beigefügt. Rubigo nervosa ist eine sehr giftige und sehr seltene Pflanze, deren Zellen direkt das Nervensystem angreifen. Sie wirkt wie Rost. Es ist äußerst gefährlich! Ich nehme die restliche Seife mit, um sie noch genauer zu untersuchen, und werde versuchen, ein Gegengift zu entwickeln.
Gott sei Dank hatten wir die Wurmiculums, liebe Marie, denn sonst wärst du, fürchte ich, inzwischen unwiederbringlich ans Bett gefesselt und könntest dich nicht mehr rühren. Die Wurmiculums scheinen zu helfen, jedenfalls hat sich dein Zustand gebessert und stabilisiert. Aber vielleicht gibt es ein noch wirkungsvolleres Gegenmittel, mit dem du die verloren gegangenen Körperfunktionen vollständig wiedererlangen kannst. Denn in diesem Punkt war der Pessimismus der Ärzte nicht unbegründet. Ich glaube, sie haben dir gegenüber keinen Hehl daraus gemacht, oder?«
Marie nickte stumm, und Oksa spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Würde ihre Mutter womöglich für immer in diesem Zustand bleiben, an dem sie, Oksa, irgendwie indirekt schuld war?
»Wenn ich mir vorstelle, dass das Ganze dich hätte treffen sollen … Der Gedanke macht mich ganz krank«, murmelte Marie.
»Aber die Seife hat dich ganz krank gemacht«, erwiderte Oksa mit einem mühsam unterdrückten Schluchzen.
In der Falle des Alphabets
E
s ist nicht so, dass ich es nicht kapiert hätte. Ich hab bloß nicht zugehört.«
Der Kapiernix stand mit hängenden Armen in Dragomiras Streng-vertraulichem-Atelier. Ihm gegenüber standen der Getorix und eine Sensibylle, Letztere in einen dicken Wollschal gehüllt.
»Dann hast du also nicht bloß Watte im Hirn , sondern auch noch in den Ohren, Kapiernix«, spottete der Getorix, zerzaust wie immer.
»Mitten im Winter ein Fenster aufzumachen!«, sagte die Sensibylle verärgert. »Ja, was denkst du dir denn dabei, Kapiernix? Ich hab es schon mal gesagt: Auf keinen Fall die Fenster aufmachen! Das ist doch nicht so schwierig! Draußen schneit es, ich habe es gesehen, aber vor allem habe ich es gespürt ! Wenn ihr mich umbringen wollt, dann sagt es gleich!« Sie klapperte mit den Zähnen. »Und erst die Vogelgrippe, hast du daran gar nicht gedacht? Hast du noch nie was von Quarantäne gehört?«
»Was ist denn hier los? Warum streitet ihr euch?«
Oksa hatte sich durch den offen stehenden Kontrabasskasten hereingeschlichen. Dragomira, die das tägliche Gezänk der Geschöpfe schon lange nicht mehr ernst nahm, saß vor ihrem riesigen Destillierkolben. Aus den Glasröhren drangen bläuliche Schwaden, deren süßlicher Duft den ganzen Raum erfüllte.
»Hallo, meine Duschka! Wie geht es dir? Mach es dir bequem, ich bin gleich bei dir.«
»Junge Huldvolle, ich erbitte gnädigst Eure Bereitschaft, meine unterwürfigsten Ehrerbietungen entgegenzunehmen!«
Die Plempline verbeugte sich so tief, dass sie das Gleichgewicht verlor und direkt vor Oksas Füßen der Länge nach hinfiel. Was der Getorix natürlich nicht unkommentiert lassen konnte.
»Haha, der Hofknicks, zum Totlachen! Du glaubst wohl, du bist am österreichischen Kaiserhof, oder was?«
Dragomira hörte offenbar doch mit einem Ohr zu, denn aus der Tiefe des Ateliers kam eine an Oksa gerichtete Erklärung: »Dazu musst du wissen, meine Duschka, dass die Plemplems
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