Oksa Pollock. Die Unverhoffte
frei von Gefahren, und Oksa stand in vorderster Schusslinie, was die größte Sorge ihres Vater zu sein schien.
Andererseits hatte sie selbst Edefia doch auch nie gesehen, und dennoch war sie bereit, tausend Gefahren zu bestehen, um die Welt ihrer Vorfahren wiederzufinden. Lag es an diesem eigenartigen, eindringlichen Aufruf der Alterslosen Feen? An den Kräften und Fähigkeiten, die in ihr heranreiften? An dem Mal – diesem fantastischen achtzackigen Stern, der sich mit jedem Tag deutlicher um ihren Nabel herum abzeichnete? All diese Fragen faszinierten und ängstigten sie zugleich, und die furchterregendste von allen, die, deren Beantwortung noch vollkommen im Dunkeln lag, lautete: Was würde die nahe Zukunft für sie bereithalten?
»Wir schreiben einen Test. Holt ein Blatt heraus. Oksa Pollock, da dein Vorgänger im Alphabet heute nicht da ist, wirst du mir bitte nach der Stunde beim Aufräumen helfen.«
McGraw hatte diese Worte mit vorgetäuschter Beiläufigkeit ausgesprochen und Oksa eiskalt erwischt: Darauf war sie nicht vorbereitet.
»Aber, Mr McGraw, ich habe nachher noch eine Stunde …, mein … meinen … Geigenunterricht«, log Oksa in ihrer Not. Sie durfte auf keinen Fall allein hierbleiben!
»Du spielst Geige? Sieh einer an, das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Ich hätte eher auf Kung-Fu oder eine andere exotische Sportart getippt. Nun, ob Geige oder nicht, das ist mir einerlei. Wir haben alle irgendetwas zu tun nach dem Unterricht. Aber du bleibst da und hilfst mir, so halten wir das seit Schuljahresbeginn. Jeden Donnerstagnachmittag hilft mir ein Schüler beim Aufräumen.«
»Ich kann bleiben, Mr McGraw«, meldete sich Gus.
»Mein lieber Gustave«, sagte McGraw mit einem theatralischen Seufzer, »wir kennen deine ritterliche Ader alle zur Genüge. Allerdings handelt es sich dabei um eine etwas aus der Mode gekommene Tugend. Wenn du heutzutage ein Mädchen beeindrucken willst, solltest du dir schon etwas anderes einfallen lassen. Darüber hinaus folgt der Name Pollock nun mal im Alphabet auf Oyster, und die Reihenfolge des Alphabets ist ein unveränderliches Gesetz, ganz im Gegensatz zu pubertärer Ritterlichkeit. Es trifft also heute Fräulein Pollock.«
Ein paar Schüler kicherten, allen voran Hilda Richard. Gus schmorte verlegen und zornig auf seinem Stuhl hinten im Klassenzimmer. Allerdings wich sein Zorn rasch der Sorge: Oksa durfte unter keinen Umständen mit McGraw allein bleiben! Auch wenn Gus seine Freundin nur von hinten sehen konnte, spürte er ihren inneren Aufruhr.
Oksa saß über ihren Test gebeugt und überlegte fieberhaft. Sie musste unbedingt Dragomira oder ihren Vater verständigen. Unendlich vorsichtig, um nicht ertappt zu werden, öffnete sie ihren kleinen Umhängebeutel. Das Wackelkrakeel strich ihr als Erkennungszeichen sanft über die Finger, als sie ihr nagelneues Handy herauszog und anfing, eine SMS zu tippen.
17.30 = ich allein …
Auf einmal erlosch der Bildschirm des Mobiltelefons. Aufs Äußerste angespannt sah Oksa auf und suchte mit den Augen ihren Lehrer: Er stand, bösartig grinsend, kaum zwei Meter von ihr entfernt. Er machte eine winzige Bewegung mit den Fingerspitzen und ihr Handybildschirm leuchtete wieder auf.
Oksa, der inzwischen das Blut in den Adern kochte, setzte erneut zu ihrer SMS an. Sollte er sie doch dabei beobachten, das war jetzt auch schon egal! Aber sie kam nicht weit. Mit triumphierender Miene machte McGraw erneut die Geste mit den Fingerspitzen, und Oksa sah, wie ein feiner greller Blitz von ihrem Handy zu den Fingerspitzen des verhassten Lehrers floss. Der Akku ihres Handys war entleert!
Zufrieden setzte McGraw seine Runde fort, während Oksa mit ihrem unbrauchbaren Mobiltelefon dasaß. Sie drehte sich um und versuchte, Gus auf sich aufmerksam zu machen, was nicht so einfach war, da mehrere Schüler zwischen ihr und ihrem Freund saßen. Und gleich darauf wurde auch dieser Plan von McGraw vereitelt, da der Lehrer sich so gezielt zwischen den beiden postierte, dass kein Blickkontakt mehr möglich war.
Oksa spürte Panik in sich aufkommen. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und klar zu denken, doch in ihrem Gehirn herrschte auf einmal Chaos. Das Ringelpupo pulsierte, verdeckt von ihrem Ärmel, immer stärker um ihr Handgelenk. Oksa schloss die Augen und versuchte, ihren Atemrhythmus auf die Bewegungen des lebendigen Armbands abzustimmen, um sich zu beruhigen.
Ein paar Minuten später ließ ihre Panik allmählich nach und sie
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