Oksa Pollock. Die Unverhoffte
verblasst. Hinsichtlich der ersten zwei Ingredienzen war sich der Durchscheinende ganz sicher: ein Würfel Lumineszentia von drei Zentimeter Seitenlänge und ein Achtelliter Blut desjenigen, der den Trank für sich verwenden wollte. Was die dritte Zutat anging, waren seine Angaben allerdings wesentlich ungenauer: Es handelte sich um zermahlene Wurzeln, Blätter und Stängel einer Pflanze, die als Katalysator für die beiden ersten Substanzen wirken sollte. Dann beschloss der Durchscheinende, Temistokeles die vierte Ingredienz anzubieten, ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit von unschätzbarem Wert.«
»Was war das?« Oksa hielt den Atem an.
»Immer wenn ein Durchscheinender das Liebesgefühl eines seiner armen Opfer eingesogen hatte, kam er in einen euphorischen Zustand. Seltsamerweise bewirkte dieser Zustand, dass ihm eine schwarze zähe Flüssigkeit aus dem Überbleibsel seiner Nase rann. In dem kleinen Fläschchen, das der Durchscheinende Temistokeles gab, war der widerliche schwarze Schleim aus den Nasenlöchern von keinem Geringeren als Coxo, der vierhundert Jahre vorher gelebt hatte.«
»Das ist ja ekelhaft!«, rief Oksa.
»Faszinierend!«, fand Tugdual.
»Aber warum sagst du, dass dieser ›Schleim‹ von Coxo einen unschätzbaren Wert hatte?«, fragte Oksa weiter. »Was hatte er denn zusätzlich, was der von den anderen Durchscheinenden nicht hatte?«
»Coxo war ein genialer Erfinder«, antwortete Naftali.
»Du meinst wohl, ein verrückter Zauberer! Ein Wahnsinniger!«, unterbrach ihn Dragomira. »Ich habe mehrere Artikel über ihn in der Memothek gelesen. Er hatte keinerlei Skrupel und seine Grausamkeit kannte keine Grenzen.«
»Das stimmt«, gab Naftali zu. »Wenn ich sage, dass er genial war, dann meine ich damit nur, dass er erfolgreich war, wo alle anderen scheiterten. Er war der Erste, dem die Umwandlung von Materie gelang. Als Temistokeles vierhundert Jahre später seine Nachfolge antrat, musste er lange Zeit hartnäckig arbeiten, bis er sein Ziel erreichte.«
»Hat er die fehlende Zutat gefunden?«, fragte Oksa dazwischen. »Es war eine Goranov, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?«, fragte Gus.
»Eine Pflanze, die als Katalysator wirkt, Gus, weißt du noch?«
»Aber ja, klar!«
»Du hast recht, Oksa«, bestätigte Naftali. »Es war eine Goranov, ganz genau.«
»Aber so ein Gemetzel!«, rief Oksa empört. »Das widert mich an. Die armen Goranovs! Hat Temistokeles viele davon massakriert?«
»Zweifelsohne«, sagte Naftali. »Bis er schließlich die endgültige Zusammenstellung seines Elixiers gefunden hatte, das Mauerwandel, wie er es nannte. Es bewirkt, dass der Körper sozusagen in seine Einzelbestandteile zerlegt wird, um ihn durchlässig für härtere Stoffe wie Stein, Holz, Metall zu machen …«
»Soll das heißen, dass man mit diesem Mauerwandel durch Mauern gehen kann? Ist es so?« Oksa konnte es kaum fassen.
»Genau so«, antwortete Naftali unter den staunenden Ausrufen seiner Freunde.
»Ein Zaubermittel, um durch Mauern zu gehen …«, murmelte Gus. »Wisst ihr, was für eine Macht das bedeuten würde?«
»Ja, Gus, eine gewaltige Macht«, sagte Naftali. »Aber Temistokeles ging noch weiter. Nachdem er erfolgreich durch Mauern, große Glasfenster, Metallplatten und Steinwände gegangen war, wollte er den Mantel Edefias durchschreiten; das war ja vom ersten Tag an sein Ziel gewesen. Allerdings stieß er da nun buchstäblich auf eine Mauer, die ihn nicht durchließ – so muss man es wohl sagen –: eine Lichtmauer, an der sich sein hochpotentes Elixier als so wirkungsvoll erwies wie ein Glas Wasser. Das war eine furchtbare Enttäuschung für den Alchemisten, ein Rückschlag, der ihn beinah umgebracht hätte.
Eine einzige Hoffnung blieb ihm noch, und so griff er zu jenem allerletzten Mittel, das ihn schließlich vernichten sollte: in die Kammer des Umhangs einzudringen, um dort die Lösung für sein Problem zu suchen. Er kannte natürlich nicht Das-Geheimnis-das-nicht-enthüllt-werden-darf, doch sein Instinkt sagte ihm, dass er dort vielleicht interessante Hinweise finden würde.
Eines Nachts schlich er sich in die Gläserne Säule, wohin er dank seines Mauerwandel-Elixiers ohne Probleme gelangen konnte, und drang in die berühmte Kammer ein. Was fand er dort? Niemand weiß es, denn nur seine körperliche Hülle kam wieder heraus, sein Geist war leer: Temistokeles war tot.
Einige Monate danach gründete sein einziger Sohn, der ihm bei all den Forschungen in den
Weitere Kostenlose Bücher