Oksa Pollock. Die Unverhoffte
dass jemand hinter ihr stand, und drehte sich um: Ihr Vater war da, an den Türstock gelehnt, und sah sie fiebrig an.
»Papa?«
Statt einer Antwort fuhr Pavel sich verzweifelt mit der Hand über die Stirn und machte kehrt.
»PAPA!«
Oksa wollte ihm folgen, doch er sah sie so erschöpft an, dass sie es nicht wagte. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, drehte sie durch. Ohne sich von der Stelle zu rühren, fegte sie mit einem zornentbrannten Blick alles, was auf ihrem Schreibtisch lag, hinunter. Sie machte sich über die Poster an den Wänden her und riss sie allein mit der Kraft ihres Blicks in lange Papierstreifen. Als alles zerbrochen, zerfetzt oder klein gemacht war, richtete sie ihren Zorn auf die Fetzen und ließ sie, mit ihrem Willen als einziger Waffe, in der Luft schweben, wo sie ziellos umhertrieben. Schließlich warf Oksa sich auf ihr Bett, das Herz schwer von Bitterkeit und Unsicherheit.
Als sie die Augen wieder öffnete, saß ihr Vater mit dem Rücken an der Wand neben ihr auf dem Boden.
»Eine gewagte neue Deko«, sagte er mit einem Blick auf die um ihn herumschwebende Verwüstung.
»Papa! Oh, Papa!« Oksa stürzte sich in seine Arme und verbarg den Kopf an seiner Schulter. »Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie es weitergehen soll, Papa. Ich fühle mich ganz verloren!«
»Das liegt daran, dass es für dich so urplötzlich kam, mein Schatz. Es tut mir furchtbar leid, dass du unsere Geschichte auf diese Weise erfahren musstest, ganz unvorbereitet. Es tut mir ehrlich leid. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich noch gewartet … Aber jetzt ist es zu spät«, fügte er wie zu sich selbst hinzu.
»Das ist aber noch nicht alles, Papa«, warf Oksa erregt ein.
Doch er blickte sie nur bedauernd an und beachtete ihren Einwand nicht weiter. »Warte noch eine Weile, hab Geduld! Wir sind ja selbst hilflos und wissen nicht, was wir tun sollen. Wir sind uns nicht mal alle einig. Aber wir müssen uns die Zeit nehmen, in Ruhe nachzudenken, um keinen Fehler zu machen«, schloss er und legte den Arm um Oksas Schultern.
»Ich verstehe kein Wort … Worüber müsst ihr euch noch einig werden?«
»Mehr kann ich dir nicht sagen, solange wir selbst nicht klar sehen.«
»OKAY! OKAY!«, sagte sie aufgebracht. Als sie sich wieder gefangen hatte, fuhr sie in einem übertrieben scherzhaften Ton fort: »Aber dann dürft ihr euch auch nicht beklagen, wenn ich bald schwer traumatisiert herumrenne. Später müssen sich dann die namhaftesten Psychiater mit meinem Fall befassen, und ich werde ihnen erzählen, dass meine Neurosen durch einen ungeheuren psychischen Schock in meiner Jugend verursacht wurden und meine Familie mich genau zu diesem Zeitpunkt sträflich vernachlässigt hat.«
Ihr Vater stutzte kurz und überlegte, wie er reagieren sollte, brach dann aber in schallendes Gelächter aus. Bald lachte Oksa laut mit und sah ihn von der Seite an, während er ihr liebevoll durchs Haar wuschelte.
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, soll ich mir also meine vielen Fragen verkneifen, bis ihr euch dazu herablasst, mir eure kostbare Aufmerksamkeit zu schenken«, fasste Oksa ihre Unterhaltung frech zusammen. »Aber natürlich, ich bin ja nur ein hysterischer Teenie und auf den guten Willen der ach so klugen und ach so vernünftigen Erwachsenen angewiesen.«
Als ihre Blicke sich wieder trafen, versuchte ihr Vater nicht einmal zu verbergen, wie unangenehm ihm ihre Worte waren und wie wenig er sich der Lage gewachsen fühlte.
Oksa bekam Mitleid mit ihm und beschloss, vorläufig Ruhe zu geben. Sie wickelte den Saum ihres T-Shirts um den Finger und sagte: »Na gut. Ich kann es dir nicht garantieren, aber ich will es versuchen.« Einen Augenblick später fuhr sie fort: »Ach, ich hätte fast vergessen, es dir zu sagen: Leomido und Abakum kommen zum Abendessen zu uns.«
»Das sind ja gute Neuigkeiten!«, rief ihr Vater, froh über die Ablenkung. »Komm, wir wollen ihnen eine Mahlzeit bereiten, die diesen Namen verdient. Äh … vielleicht wäre es ganz gut, dein Zimmer wieder ein bisschen in Ordnung zu bringen, bevor deine Mutter es sieht. Was meinst du?«
Gemeinsam sammelten sie alles ein, was Oksa bei ihrem unbändigen Magnetus-Anfall herumgeschleudert oder zerbrochen hatte. Pavel Pollock bemerkte zwar den großen Brandfleck an der Wand, doch er verkniff sich einen Kommentar und hängte stattdessen ein mehr schlecht als recht zusammengeflicktes Poster über die Stelle. In dem Fall war es wohl wirklich
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