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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Beschäftigungen nach, als wäre nichts geschehen. Und wenn Oksa ihren Vater überhaupt sah, erwähnte er die Familiengeschichte oder das Gespräch mit Dragomira mit keinem Wort und wich selbst Oksas flehentlichen Blicken aus. Dabei war Oksas Leben auf den Kopf gestellt worden: Sie hatte erfahren, dass ihre Familie aus einer unbekannten Welt stammte und dass einer von ihnen ein grausamer Mörder war. Das war doch wohl nicht alltäglich! Dennoch schien es so, als wäre nichts von alldem passiert. Oksa fühlte sich völlig im Stich gelassen.
    Abends war sie wie üblich zu ihrer Großmutter hinaufgegangen, doch es war niemand da. Angeblich verbrachte Dragomira ein paar Tage bei ihrem Patenonkel Abakum, aber Oksa wusste, dass sie seit mindestens zwei Tagen zurück war. Sie ärgerte sich furchtbar. Wenn ihre Baba jetzt auch noch anfing, sie zu vernachlässigen, war es für alles zu spät! Am Samstagnachmittag fasste sie sich schließlich ein Herz und klopfte an, nachdem sie an der Tür gelauscht und den Plemplem drinnen hatte summen hören.
    »Oh, Enkelin meiner Huldvollen, der Besuch ist unverhofft, doch das Entzücken Eurer Betrachtung ist eine Gewissheit für mich«, sagte das Geschöpf, als es ihr öffnete.
    »Wer ist da, lieber Plemplem? Wenn es Oksa ist, lass sie bitte herein.«
    Es war Dragomiras Stimme, schwach und heiser. Der Plemplem verbeugte sich vor Oksa und trat beiseite, um sie vorbeizulassen. Die Baba Pollock lag unter einer dicken Daunendecke mit Schottenmuster auf einem der Sofas. Ihr Kopf ruhte auf farbenfrohen Kissen, die ihre Blässe noch betonten. Die langen Zöpfe hingen nachlässig zu Boden und ihre Lider waren halb geschlossen.
    »Komm zu mir, meine Duschka!«
    Oksa stürmte zu ihrer Großmutter und schloss sie zärtlich in die Arme. So blieben sie eine Weile, froh, sich endlich wiederzusehen.
    »Es geht dir wohl nicht gut, Baba? Bist du krank?«
    Dragomira sah ihre Enkelin zärtlich an.
    »Ja, aber es ist nichts Ernstes, keine Angst. Ich muss mich nur ausruhen.«
    Kaum hatte sie das gesagt, schloss sie die Augen und ihr Kopf fiel leicht zur Seite. Oksa war überzeugt, dass der Zustand, in dem sich ihre Großmutter befand, mit dem Tod des Journalisten zusammenhing. Lasteten Schuldgefühle auf ihr? Oder war es Reue, die sie empfand? Oksa konnte sich ihre sanfte Großmutter nicht als gemeingefährliche Verbrecherin vorstellen. Andererseits hätte auch niemand ahnen können, dass hinter der mild exzentrischen Kräuterfrau im Ruhestand die entflohene Herrscherin eines gefallenen Reiches steckte.
    Dragomira wusste mehr über diese Geschichte als alle anderen, das war das Einzige, was für Oksa feststand. »Also steckt zwangsläufig einer von uns dahinter!«, hatte sie gesagt. Nur wer? Ihr Vater? Abakum? Leomido? Das war kaum vorstellbar. Aber Oksas Leben bestand seit Anfang der Woche nur noch aus unvorstellbaren Dingen …
    »Ich muss mich ausruhen, meine Kleine«, wiederholte Dragomira matt.
    »Was hast du, Baba? Sag es mir, bitte!«, drängte Oksa ihre Großmutter.
    Dragomira zögerte kurz, dann wandte sie den Kopf ab und sagte mit rauer Stimme: »Diese ganzen Erinnerungen haben mich sehr mitgenommen. Weißt du, die Bilder vom Großen Chaos zu sehen und die Stimme meiner Mutter wieder zu hören … das war sehr ergreifend für mich.«
    »Darf ich dir noch eine Frage stellen, Baba?«
    Dragomira nickte stumm.
    »Was passiert jetzt? Ich meine … weil ich dieses Mal auf dem Bauch habe.«
    »Darüber reden wir später, meine Duschka.«
    »Na gut!«, sagte Oksa unwillig. »Darf ich Leomido und Abakum jetzt kurz Guten Tag sagen?« Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ein wenig mehr herauszufinden. »Sie sind immer noch da, oder?«
    »Ja, das sind wir, Oksa.«
    Oksa drehte sich um: Die beiden Männer waren wirklich da, in der Nähe des riesigen Kontrabasskastens hinten an der Wand.
    »Wir kommen gern zu deinen Eltern und dir zum Abendessen hinunter, wenn ihr uns einladet«, sagte Leomido, nachdem er sie begrüßt hatte. »Aber jetzt musst du deine Großmutter allein lassen, sie muss sich erholen.«
    Widerwillig stand Oksa auf, gab Dragomira einen letzten Kuss und kehrte in ihr Zimmer zurück.
    »Erst eröffnen sie mir lauter weltbewegende Dinge, und wenn ich mehr wissen will, machen sie mir die Tür vor der Nase zu. Dabei habe ich doch lauter Fragen! JETZT REICHT ES MIR ABER!«, rief sie aufgebracht und verpasste ihrer auf dem Boden liegenden Schultasche einen kräftigen Tritt.
    Sie spürte,

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