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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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Stich zu lassen. Er wollte diesen Menschen zeigen, dass die Polizei ihnen beistand. Und wenn diese Menschen sterben mussten, dann würde er mit ihnen sterben.
    Diese Sicht der Dinge teilte er mit vielen Kollegen, Ärzten und THW-Mitarbeitern, die in den Zelten Dienst taten. Das wusste er aus Gesprächen mit ihnen.
    Seit zwei Stunden kümmerte er sich im Zelt der Korbinian-Brauerei um die Geiseln. Er rief Ärzte herbei, wenn es nötig war, und fand tröstende Worte für diejenigen, die mit den Nerven am Ende waren.
    Das Problem war nur: Eigentlich waren alle mit den Nerven am Ende.
    Und plötzlich nahm der Alptraum seinen Lauf.
    Ulgenhoffs ganz persönlicher Alptraum.
    Alles begann bei den Sitzreihen rechts vorne, nahe dem Haupteingang.
    »Wir wollen raus!«, skandierten zunächst nur wenige Menschen, dann schnell immer mehr. Das rhythmische Rufen schwoll an und trieb ihm einen Schauder über den Rücken. Das war eine gefährliche Entwicklung. Er bat in der Wiesn-Wache um Verstärkung. Kroneder setzte augenblicklich fünfzig weitere Bereitschaftspolizisten in Marsch.
    War dies der Zeitpunkt, das Ultimatum zu verkünden und den Countdown bekanntzugeben?
    »Wir wollen raus!«, riefen die Menschen. Inzwischen schlugen sie dazu im Rhythmus ihrer Rufe mit Maßkrügen auf die Biertische.
    Er stand mit acht weiteren Beamten am Haupteingang. Seine Blicke strichen unruhig durch das riesige Bierzelt. Auch mit fünfzig zusätzlichen Beamten würden sie eine Massenpanik nicht aufhalten können. Wie würden die Täter reagieren, wenn aus einem der Zelte plötzlich die Leute herausdrängten?
    »Wir wollen raus!« Lauter und lauter.
    Ulgenhoff befahl zwei Trupps an die Ausgänge. Die Männer holten die dort lagernden Schilde und stellten sich in einer Reihe vor die Türen.
    Die ersten Leute im Zelt standen auf. Bald hatten sich an die fünfzig erhoben, die sich nun aus den ersten beiden Gängen zwischen den Biertischen schoben. Langsam kamen sie durch den Hauptgang auf die Tür zu. Vorneweg marschierte ein stämmiger Kerl in bayerischer Tracht. Oberbayern, registrierte Ulgenhoff.
    »Wir wollen raus!« Im Takt ihrer Rufe reckten sie die rechte Faust nach oben.
    Ulgenhoff ging ihnen zwei Schritte entgegen und forderte sie mit erhobener Hand auf, stehen zu bleiben. Doch die Leute schoben sich unaufhaltsam weiter nach vorne, nicht schnell, aber beständig.
    Ulgenhoff begann, mit lauter und fester Stimme zu sprechen. »Ich muss Sie bitten, sich alle wieder hinzusetzen. Es ist aus Sicherheitsgründen …«
    »Leck mich am Arsch!«, wurde er von dem stämmigen Oberbayern grob unterbrochen.
    »Gehen Sie auf Ihre Plätze zurück!« Ulgenhoff schrie jetzt. »Niemandem wird etwas geschehen. Gehen Sie auf Ihre Plätze zurück!«
    Kurz hielten die Menschen inne, dann bewegten sie sich weiter auf Ulgenhoff zu.
    Die Gedanken in Ulgenhoffs Kopf rasten. Was sollte er nur tun? Ihm war klar, dass diese Menge mit den paar Männern, die er hatte, nicht lange aufzuhalten war. Wo blieb die Verstärkung?
    Es war auch zu spät, den Leuten jetzt den Countdown zu erklären. Die Stimmung, zumindest hier, im rechten vorderen Viertel des Zeltes, war zu aufgeheizt.
    Er rief Kroneder über Funk, bekam jedoch keine Antwort. Schließlich teilte die Funkzentrale mit, Kroneder spreche auf einer anderen Leitung.
    Ulgenhoff musste eine Entscheidung treffen.
    Jetzt.
    Und Ulgenhoff traf eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die gegen alles verstieß, wofür er gearbeitet und woran er geglaubt hatte. Eine Entscheidung, die ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen sollte.
    Eine einsame Entscheidung.
    Ulgenhoff zog seine Dienstwaffe und lud die Pistole durch.
    *
    Amelies Mobiltelefon klingelte, es war die Sekretärin von Josef Hirschmoser. Der Herr Hirschmoser ließ ausrichten, er befinde sich auf dem Weg ins Rathaus.
    Der Herr Hirschmoser habe beschlossen, den Stadtkommandanten zur Rede zu stellen. Und das würde der Herr Hirschmoser in seiner Eigenschaft als Sprecher der Wiesn-Wirte innerhalb der nächsten Stunde tun. Das wäre für die Presse doch sicher interessant?
    Amelie bedankte sich für den Anruf.
    Da sie im Moment ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, würde sie zum Rathaus fahren. Sie rief ihren Fotografen an und verabredete sich mit ihm auf dem Marienplatz.
    Eine große Geschichte würde das voraussichtlich nicht werden. Aber die Auftritte von Sepp Hirschmoser unterlagen einer gewissen Unberechenbarkeit, die im Temperament des Mannes begründet lag. Wenn

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