Oktoberfest
Aufenthaltsort geben. Wenn es ihr nicht gelang, würden die Männer sie früher oder später wohl sowieso umbringen. An das, was diese Männer vorher noch mit ihr machen würden, wollte sie nicht denken.
Aber sie würde nicht sterben. Nein, der Tod würde warten müssen.
Sie war in ein kleines Zimmer im Erdgeschoss gebracht worden. Man hatte ihr die Fesseln abgenommen. Der Raum war angenehm warm. Frische Kleidung lag für sie bereit. Der Rollladen war herabgelassen. Ein Teller Nudeln stand dampfend auf einem kleinen Tisch, ein Becher Tee daneben.
Sie zog sich Jeans und T-Shirt an. Dann setzte sie sich an den Tisch. Die Nudeln schmeckten salzig und fettig. Der Tee war stark gesüßt. Aber sie war hungrig und hätte so ziemlich alles gegessen, was man ihr vorsetzte. Während ihre Kiefer kauten, kehrten ihre Gedanken zu der Idee zurück. Wie sollte sie es anfangen? Wie kam sie aus diesem Raum heraus? Sie würde sagen, dass sie zur Toilette musste. Sie musste darauf hoffen, dass die Aufmerksamkeit der Männer nicht mehr so hoch war. Vielleicht konnte sie irgendeine Ablenkung inszenieren.
Sie würde sich das Telefon schnappen und auf der Toilette verschwinden. Die Karten vertauschen. Das Telefon stumm schalten. Dann konnte sie nur noch warten und hoffen, dass die Polizei sie fände, bevor jemand die Manipulation bemerkte.
Der Teller war inzwischen leer. Sie nahm die Reste ihrer Zuversicht und ihres Mutes zusammen, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, stand auf und ging zur Tür.
Sie bekam Bauchweh vor Aufregung. Lampenfieber. Doch ihr war klar, dass sie jetzt handeln musste. Sie erreichte die Tür und hob die rechte Hand, um zu klopfen. Sie dachte an das Licht des Leuchtturms. Entschlossen setzte sie ihr charmantestes Lächeln auf.
Sie würde nicht sterben.
Nein, der Tod würde warten müssen.
*
Immer mehr Geiseln verließen die Bierzelte und sammelten sich auf der Wirtsbudenstraße. Die Polizei verkündete über Lautsprecher, dass sie zunächst auf dem Gelände bleiben sollten. Ihre Personalien müssten aufgenommen werden. Dann erst würden sie alle in ihre Hotels oder Wohnungen gebracht werden.
Das Benediktiner-Zelt war noch immer weiträumig abgesperrt.
Alois Kroneder stand auf einem Panzerwagen des Grenzschutzes. Er überwachte die Evakuierung. In den Mienen der Menschen, die aus den Zelten kamen, sah er Unsicherheit und Erschöpfung. Mit lethargischen Bewegungen sammelten sie sich im Freien. Die nervliche Anspannung und die verabreichten Beruhigungsmittel ließen ihre Haut im Licht der Scheinwerfer ungesund blass erscheinen.
Kroneder atmete aus. Die Menschen blieben ruhig. Die medizinische Versorgung klappte. Eine Evakuierungsoperation wie aus dem Lehrbuch.
Immer wieder erklärten die Einsatzkräfte den ehemaligen Geiseln die Situation, obwohl die Beamten es selbst kaum glauben konnten: Die Geiselnahme war beendet worden, ohne weitere Opfer zu fordern. Dennoch: Die Trauer um ihre Kollegen und die über zweitausend Unschuldigen saß tief. Noch wollte sich keine Erleichterung einstellen.
Dann bemerkte Alois Kroneder erste Anzeichen eines Stimmungsumschwungs.
Als den Befreiten klar wurde, welche Gefahr sie überstanden hatten, kippte die Niedergeschlagenheit zunächst in nur zaghafte Freude um. Sie waren davongekommen. Sie hatten überlebt. Die ersten begannen, sich bei Polizeibeamten und anderen Helfern zu bedanken. Hände wurden geschüttelt. Vereinzelt wurde Lachen hörbar.
Der BKA-Mann namens Müller tauchte neben dem Panzerwagen auf. Er winkte Kroneder zu. Der Einsatzleiter kletterte von dem Wagen und sah ihn fragend an.
»Herr Kroneder, ich habe gerade Vollzugsmeldung aus dem Benediktiner-Zelt erhalten. Der zentrale Zündkontakt wurde gefunden und neutralisiert. Jeden Moment werden die Geiseln das Zelt verlassen. Sie können die Absperrung aufheben.«
»Und der Bundespräsident?«, fragte Kroneder. »Wie geht es ihm?«
»Der Bundespräsident ist wohlauf und besteht darauf, das Zelt als Letzter zu verlassen.«
»Das ist typisch. Als ob er sich nicht schon genügend exponiert hätte. Es wäre sinnvoller, ihn als Ersten unauffällig vom Gelände zu schaffen.«
»Polizeitaktisch gesehen haben Sie recht. Aber so tickt unser verehrtes Staatsoberhaupt nun mal nicht. Er hat den Männern des Bombenkommandos bereits gesagt, dass er so bald wie möglich zu den Menschen sprechen will. Erst hier auf dem Gelände, dann über das Fernsehen.«
Kroneder schüttelte den Kopf. »Was will er denn
Weitere Kostenlose Bücher