Oktoberfest
vorbei.«
»Zu Befehl, Herr General!« Buchwieser salutierte, blieb jedoch vor Moisadl stehen und sah ihn an.
»Wenn Sie was auf dem Herzen haben, nur raus damit.«
»Irgendwie finde ich es unbefriedigend, dass wir die Täter nicht aufhalten konnten. Wir waren bereit, uns diesem Feind zu stellen. Ich bin sicher, wir hätten uns gut geschlagen, Herr General!«
»Ich sehe die Sache so, Buchwieser: Der erste Einsatz bewaffneter Truppen auf deutschem Boden nach 1945 ist zu Ende. Wir haben unseren Auftrag, die öffentliche Ordnung zu schützen, erfüllt. Und dabei ist kein einziger Schuss gefallen. Als Kommandeur dieses Einsatzes werte ich das als persönlichen Erfolg. Und noch eines, wir haben uns gut geschlagen . Gerade deshalb. Stellen Sie sich einen Feuerkampf im Zentrum von München vor. Furchtbar. Zum Glück konnten wir das verhindern.«
Oberst Buchwieser sah Moisadl nachdenklich an. Dann nickte er. »Sie haben recht, Herr General. Gott sei Dank ist es dazu nicht gekommen.«
General Moisadl grinste. »Ja, man muss Gott für alles danken. Auch für Ober-, Unter-, Mittelfranken.«
Jetzt grinste auch Oberst Buchwieser. Er salutierte abermals. »Lasse die Brigade fertig machen zum Abrücken, Herr General!«
*
Für Polizeihauptmeister Ulgenhoff war der Spuk nicht vorbei. Er wurde die Erinnerung an die Gesichter der Menschen, die ihn fassungslos und hasserfüllt angestarrt hatten, nicht mehr los. Er hätte eine andere Lösung finden müssen. Er hätte nicht schießen dürfen.
Mit einigen Kollegen stand er neben dem Benediktiner-Zelt. Er wartete darauf, dass die Kampfmittelbeseitiger ihnen grünes Licht gaben. Es ging um die Absperrung des Durchgangs. Spezialisten der Spurensicherung sollten hier unverzüglich mit der Arbeit beginnen. Sie würden den Kühllaster untersuchen, den die Täter neben dem Zelt hatten stehen lassen.
Einer der Bombenspezialisten hob einen Daumen in die Höhe. »Alles sauber. Sie können anfangen.«
Die Spurensicherer in ihren weißen Overalls öffneten die hintere Tür des Transporters. Der Anblick, der sich ihnen bot, trieb ihnen das Grausen in die Glieder. Die Leichen lagen in Stapeln. Ihre Körper waren steif gefroren und bläulich verfärbt.
In Ulgenhoffs Kopf rief das Bild eine furchtbare Assoziation hervor.
Er hatte als Kind in einem Geschichtsbuch ein solches Bild gesehen. Ein Bild, von amerikanischen Soldaten aufgenommen. Kurz nach der Befreiung eines Konzentrationslagers. Dieses Bild hatte sich damals tief eingebrannt. Er hatte immer wieder davon geträumt. Seine Mutter hatte ihn aus seinen Alpträumen geweckt und ihn getröstet.
Damals.
Als Kind.
Jetzt würde niemand kommen und ihn trösten, das wusste er.
Ulgenhoff wurde klar, dass er sein Leben ändern musste. Er musste weg von seinem Beruf, in dem er so schrecklich versagt hatte. Weg von dieser Stadt, von seinem jetzigen Leben. Weg von den Menschen, den grausamsten unter allen Geschöpfen.
Weit weg.
Zwei Stunden später quittierte er den Dienst. Alle Versuche von Kroneder, ihn umzustimmen, blieben erfolglos.
Ulgenhoff verließ München, verließ Deutschland. Kroneder konnte die Verzweiflung in Ulgenhoffs Augen niemals vergessen.
Drei Jahre später sollte sich Kroneder, inzwischen zum Polizeipräsidenten von München aufgestiegen, auf die Suche nach seinem ehemaligen Kollegen machen. In einem Handelsposten, hoch in den kanadischen Bergen, identifizierte einer der Jäger, die dort an der Bar saßen, Ulgenhoff auf einem Foto. Sechs Whiskeys hatte Kroneder ausgeben müssen, um die Zunge des Jägers zu lösen.
Der Mann auf dem Foto lebe in einer Blockhütte, erzählte ihm der Jäger. Er vermeide den Kontakt zu Menschen. Manchmal komme er zu dem Handelsposten, um Goldnuggets zu verkaufen und mit Benzin, Medikamenten und Munition wieder zu verschwinden.
Niemand habe die Hütte jemals gefunden. Einmal habe einer versucht, dem Mann mit den verzweifelten Augen zu folgen. Wegen der Goldnuggets. Aber in der zweiten Nacht seien mehrere Bären um sein Lager herumgestrichen. Nur das Feuer habe sie ferngehalten. In dieser Nacht habe der Verfolger eine menschliche Stimme gehört. Doch die Sprache, die diese Stimme gesprochen habe, sei nicht menschlich gewesen, habe er später berichtet.
Der narbige Zeigefinger des Jägers tippte auf das Foto, das auf dem Tresen lag. Dann sah er Kroneder mit blutunterlaufenen Augen an.
»Man sagt, die Bären schützen diesen Mann. Man sagt, dieser Mann kann mit den Bären sprechen.«
*
Als
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