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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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Selbst in ihren Schutzanzügen konnten die Beamten das Brechen der Knochen noch hören. Der Boden schwamm von Erbrochenem.
    Thomas Aschner stand noch immer wie versteinert da.
    Zweitausend Menschenleben. Wie ein Hammerwerk dröhnte die Zahl in seinem Bewusstsein. Zweitausend Menschenleben. Wieder und immer wieder.
    Münder zu tonlosen Schreien aufgerissen.
    Stilles Sterben überall.
    Das Gas ließ die Muskulatur des Verdauungsapparates versagen. Kot und Urin besudelten die Toten und die Sterbenden. In seinem Schutzanzug bemerkte Aschner nicht, wie ein unerträglicher Gestank in dem Zelt aufstieg.
    Eine junge Frau im Dirndl wankte auf ihn zu. Exkremente liefen an ihren Beinen herab. Das schöne, jugendliche Antlitz war in namenlosem Schmerz zu einer animalischen Fratze verzerrt. Ihre weit aufgerissenen Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen. Ihre Pupillen hatten die Größe von Stecknadelköpfen. Tränen liefen über ihre Wangen. Die Finger der rechten Hand hielten einen Bierkrug in unlösbarem Griff umklammert.
    Unmenschliche Laute entrangen sich ihrer Kehle. Die Extremitäten zuckten in einem jenseitigen Veitstanz. Der Speichel warf Blasen. Schaumiger Ausfluss troff der jungen Frau vom Kinn.
    Die Frau kam in mühsamen, ruckartigen Schritten weiter auf ihn zu. Die Kontraktion der Muskeln hatte Blutgefäße unter der Haut zerrissen. Handtellergroße Hämatome breiteten sich über ihren Hals aus und zeichneten violette Muster in ihrem Gesicht.
    Eine Landkarte der Hölle.
    Unwillkürlich wich Aschner zurück.
    Da blieb Aschners linkes Bein an einem der Stahlheringe hängen, mit denen der Schlauch im Boden verankert war. Er stürzte nach hinten.
    Noch im Fallen hörte er das helle Geräusch, als der dicke Kunststoff des Schutzanzuges zerriss.
    Die Frau war noch zwei Meter von Aschner entfernt, als ihre Beine einknickten. Sie fiel auf die Knie. Ihre Augen verdrehten sich zum Himmel. Sie stürzte nach vorne. Ihr Körper erstarrte in einem letzten Krampf.
    Aschner rappelte sich hoch. Sie hatten dieses Vorgehen oft geübt. Diese vielen Übungen hatten zur Folge, dass Aschner nur noch ein einziges Wort denken konnte:
    DEKONTAMINATION.
    Aschner rannte in Richtung der Spezialfahrzeuge los. Über Funk rief er die Leitstelle. »SEK Eins Eins hat einen Schaden am Schutzanzug. Ich komme jetzt zu Ihnen. Dekontaminationseinheit bereitmachen.«
    Die Männer in den Einsatzfahrzeugen verfolgten seit einer Minute die Bilder der beiden Kameras, die mit den Schläuchen ins Zelt geschafft worden waren. Schweigendes Entsetzen lag seitdem über dem Kommandostand.
    Aschners Funkspruch riss die Männer aus ihrer Erstarrung. Ein Dekontaminationsteam machte sich auf den Weg, um ihm entgegenzulaufen.
    Das erste Anzeichen, das Aschner spürte, war ein Ziehen im linken Wadenmuskel. Es fühlte sich an, als wäre er zu lange gelaufen und bekäme jetzt einen Krampf wegen Übersäuerung. Seine Hand fuhr zu seiner Wade herab und versuchte, die Muskeln mit massierenden Bewegungen wieder zu entspannen.
    Vergeblich.
    DEKONTAMINATION.
    Seine Nase begann zu laufen, als hätte er starken Schnupfen. Aschner beschleunigte seine Schritte. Dann registrierte er, wie sich die Muskeln in seinem linken Bein schmerzhaft zusammenzogen und nicht mehr lockerten. Mehr und mehr verlor er die Kontrolle über sein linkes Bein. Die Muskulatur fühlte sich an, als stünde sie in Flammen. Unter Qualen zwang er sich, weiterzurennen. Jeder Schritt wurde zu einer Konzentrationsleistung.
    DEKONTAMINATION.
    Plötzlich konnte er nicht mehr atmen. Genauer gesagt: Er konnte nicht mehr ausatmen. Die Muskeln weigerten sich, die verbrauchte Luft aus dem Brustkorb zu pumpen.
    Seine Lungen waren erstarrt.
    Atemstillstand.
    Der Gehalt an Kohlendioxid in seinem Körper nahm zu. Das Blut stieg ihm in den Kopf. Sein Schädel schien jede Sekunde zerplatzen zu müssen. Als sich seine Gesichtsmuskeln verkrampften, zogen sie seine Mundwinkel zu einem irren Grinsen nach hinten.
    Übelkeit überkam ihn. Er musste würgen. Der Inhalt seines Magens klatschte an die Innenseite der Plexiglasscheibe vor seinem Gesicht. Ein säuerlicher Geschmack füllte seine Mundhöhle. Sein Schließmuskel versagte. Blase und Darm entleerten sich in den Schutzanzug.
    DEKONTAMINATION.
    Eine ungeheure Welle der Panik und des Grauens erfasste ihn. Mit donnernden Schlägen hämmerte der Puls in seinen Schläfen. Er hörte das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Der Druck in seinem Kopf stieg ins Unerträgliche.
    Er

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