Oktoberfest
unter ihnen tauchten den Hubschrauberlandeplatz des Kanzleramtes in gleißendes Licht. Langsam ließ der Pilot die Maschine sinken. Die Herrschaften, die Kapitän Härter begrüßen sollten, mussten ihre Jacken festhalten und sich nach vorne lehnen, um auf den Beinen zu bleiben.
»Haben Sie vielen Dank, Herr Kapitänleutnant«, sagte Härter. Er nahm seinen Helm ab. Der Pilot drosselte die Turbinen. Das Schlagen der Rotoren nahm in Lautstärke und Frequenz stetig ab.
Härter öffnete die Tür des Helikopters, dann wandte er sich nochmals an den Piloten.
»Fliegen Sie nach Schwielowsee und tanken Sie auf. Besorgen Sie uns was zu essen. Ich möchte nicht ausschließen, dass wir heute Nacht noch nach Augsburg oder Moos weiterfliegen. Näher werden wir wohl an München aus der Luft nicht herankommen.«
Härter tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Stirn.
»Gott schütze uns vor Feind und Wind und vor dem ungewollten Kind!«
Der Kapitän setzte sich seine weiße Mütze auf und zog sie tief ins Gesicht, damit sie nicht weggeweht würde. Er schlug den Mantelkragen hoch, nahm seinen Aktenkoffer und seine Reisetasche und stieg aus dem Hubschrauber. Der Rotor trieb den Geruch von Flugbenzin und Maschinenöl durch die Luft.
»Zu Befehl, Herr Kapitän.« Der Pilot legte die rechte Hand zum Gruß an den Helm.
Er musste lächeln.
Wer auch immer der Gegner ist, ganz wehrlos trifft er uns nicht an, dachte der Pilot. Seine Finger huschten über die Instrumententafeln im Cockpit. Er wusste um die Geschichten, die über den Kapitän und seine Abteilung in der Marine kursierten. Und wenn diese Geschichten auch nur zur Hälfte stimmten, dann war Kapitän zur See Wolfgang Härter ein Mann, den man besser nicht zum Feind hatte.
Er sah seinem Fluggast nach.
Der schwere, dunkelblaue Marinemantel des Kapitäns wehte im Luftstrom der Rotorblätter wie das Feldzeichen eines ganzen Bataillons.
Einer der Wartenden streckte dem Kapitän die rechte Hand zur Begrüßung entgegen. Härter ignorierte die Geste. Er blieb nur kurz vor seinem Empfangskomitee stehen und grüßte militärisch.
»Lassen Sie uns gehen, meine Herren. Wir haben viel zu tun und wenig Zeit.«
*
Die SEK-Beamten bekamen über Funk das Go , den Befehl, loszuschlagen. Jeweils ein halbes Dutzend hatte sich an den beiden Schläuchen aufgestellt. Nun hoben sie die Schläuche an den Griffen an und begannen zu rennen.
Bereits dreißig Sekunden zuvor hatten sich zwanzig Mann in Bewegung gesetzt. Ihre Aufgabe war es, die Leitern für den Abluftschlauch an das Zelt anzulegen und die Planen zu zerschneiden. Sie trugen dafür martialisch aussehende Macheten am Gürtel.
An der Spitze dieser Gruppe rannte Thomas Aschner, der Kommandeur der bayerischen Sondereinsatzkommandos. Der Polizeipräsident und der Innenminister hatten ihm zunächst untersagt, in vorderster Front an dem Einsatz teilzunehmen. Aber Aschner hatte darauf bestanden.
Zwar war er nicht mehr der Jüngste, doch immer noch in erstklassiger Form. Seine Kondition sowie seine Ergebnisse im Nahkampftraining und auf dem Schießstand ließen die meisten seiner Männer vor Neid erblassen.
Er war mit Abstand der SEK-Beamte mit der größten Erfahrung. Er hatte in vielen brenzligen Situationen riskante Entscheidungen treffen müssen. Seine Nervenstärke war legendär. Ebenso wie seine gefürchteten cholerischen Ausbrüche.
Zahllose Einsätze lagen hinter ihm. Verfolgungsjagden. Geiselnahmen. Lösegeldübergaben. Banküberfälle. Zugriffe auf schwerbewaffnete Tatverdächtige. Zweimal war Aschner im Einsatz verwundet worden. Seine Männer respektierten ihn nicht nur, sie vertrauten ihm bedingungslos.
Und bei diesem Einsatz wollte er seine Männer nicht im Stich lassen.
Aschner war noch ungefähr zwanzig Meter vom Zelt der Fischer-Liesl entfernt, als einige Kollegen der Bereitschaftspolizei aus den Türen kamen. Sie bewegten sich merkwürdig ruckartig. Wie Marionetten, deren Fäden einem wahnsinnigen Puppenspieler in die Hände gefallen waren. Die Uniformen sahen aus, als hätten sich die Beamten mit irgendetwas bekleckert. Nach wenigen Metern brachen die Polizisten zusammen. Ihre Leiber erstarrten in den unglaublichsten Verrenkungen.
Skulpturen, die von der Endzeit kündeten.
»Schneller, verdammt noch mal!«, rief Aschner in sein Mikrofon, das ihn mit seinen Männern verband. »Schneller!« Seine Stimme hatte ungewollt einen flehenden Unterton bekommen. Er selbst zog die Geschwindigkeit seines Sprints nochmals
Weitere Kostenlose Bücher