Oktoberfest
war unter Wasser.
Ohne die Möglichkeit, aufzutauchen.
Er war im Begriff, bei vollem Bewusstsein zu ersticken. Ein Alptraum. In heller Todesangst versuchte er, sich auf den Brustkorb zu schlagen, um die Atmung wieder in Gang zu bringen. Seine Arme schienen nicht mehr ihm zu gehören.
Hol Luft!
Atme!
Du brauchst Luft!
Sein Brustkorb reagierte nicht. Muskel für Muskel verkrampfte sich sein ganzer Körper. Ihm wurde schwindelig. Die Welt schien nach links unten wegzurutschen. Mit taumelnden Schritten bewegte Aschner sich weiter.
Reiß dich zusammen!
Konzentrier dich!
DEKONTAMINATION.
Ein scharfer Schmerz fuhr durch seinen Kopf, als sich die Wangenmuskeln vollständig zusammenzogen. Die ungeheure Kraft der Kiefermuskulatur ließ die Zähne in seinem Mund splittern. Er hörte krachende Geräusche des Berstens im Innenohr. Er schmeckte Blut.
Thomas Aschner stolperte. Seine Arme reagierten nicht, konnten den Sturz nicht abfangen. Mit voller Wucht schlug sein Körper auf dem Asphalt der Wirtsbudenstraße auf. Die beiden Männer, die ihm entgegenkamen, waren noch zehn Meter entfernt, als seine Augen keine Konturen mehr erkennen konnten. Die Welt vor seinen Augen wurde zu einem wilden Spiel tanzender Farben.
Die Farben wichen gnädiger Dunkelheit.
DE-KON-TA …
22:30 Uhr
Nachrichtensperre. Soeben war über die Ticker der Agenturen die Meldung gekommen, dass die bayerische Staatsregierung in Abstimmung mit der Bundesregierung bis auf weiteres eine Nachrichtensperre verhängt hatte. Aus polizeitaktischen Gründen, wie es hieß.
General Oleg Blochin wandte seinen Blick vom Monitor mit den Online-Nachrichten wieder den Schirmen zu, die die Vorgänge auf der Theresienwiese überwachten. Ungerührt blickte er auf die Bilder der Kameras, die das Innere der Fischer-Liesl zeigten.
Er empfand angesichts der Leichenberge einen gewissen Ärger über die Dummheit des Gegners. Er hatte versucht, die gesamte Operation so zu inszenieren, dass keine Zweifel an seiner Entschlossenheit entstehen konnten. Doch der Gegner hatte ihm nicht geglaubt. Selbst schuld.
Er erhob sich und kehrte ins Zelt zurück. Er wollte seine Kontrollgänge fortsetzen. Er wollte überprüfen, ob und wann jemand im Zelt kurz davor war, durchzudrehen.
Aber nicht nur das.
Seine Augen suchten auch nach anderen Merkmalen, als er langsam die Reihen zwischen den Bierbänken abschritt. Einer seiner Männer ging vor ihm. Hinter ihm folgte ein Hundeführer, der den Schäferhund an kurzer Leine hielt. Iljuschin kam der Gruppe entgegen.
Trotz der Sturmhaube konnte Blochin sehen, dass der Nahkampfspezialist grinste.
»Die werden jetzt ein bisschen mehr als nur einen Kühllaster brauchen, General.« Iljuschin sprach Russisch mit ihm. Blochin hörte ein Glucksen. »Wann, glauben Sie, wird der erste direkte Angriff des Gegners erfolgen?«
»Momentan steht die Gegenseite unter Schock. Auf den Schock folgt normalerweise die Wut. Je nachdem, wie besonnen sie sind, werden sie uns noch eine Weile warten lassen. Es kann allerdings auch sein, dass wir bereits im Morgengrauen Besuch bekommen.«
Ein wohliger Schauer durchlief Iljuschin.
»Wir werden sie gebührend empfangen.«
*
Der bayerische Innenminister und der Münchner Polizeipräsident boten dem Ministerpräsidenten bereits Minuten später ihren Rücktritt an. Sie waren diejenigen gewesen, die den Einsatz befürwortet hatten. Das Vorgehen des Sondereinsatzkommandos hatten sie zu verantworten. Aber der Ministerpräsident lehnte die angebotenen Rücktritte ab. Seine Stimme schien von weit her zu kommen.
»Sie sind und bleiben meine erfahrensten Mitarbeiter in diesem Bereich. Der Freistaat kann in dieser schweren Stunde nicht auf Ihre Kompetenzen verzichten. Die Versorgung der Geiseln in den anderen Zelten muss koordiniert werden. Machen Sie sich an die Arbeit.«
Nach wie vor lag der Schatten des Unwirklichen über der bayerischen Staatskanzlei. Immer wieder schüttelte einer von den versammelten Herren den Kopf, als wollte er die Bilder, die er eben gesehen hatte, einfach herausschütteln.
Zweitausend Tote.
Ermordet.
Erstickt.
Vergast.
Der Büroleiter ergriff das Wort. »Vor der Presse haben wir bis auf weiteres Ruhe. Die Verhängung der Nachrichtensperre ist über die Agenturen rausgegangen. Wir werden Sichtblenden brauchen, wenn wir die Opfer abtransportieren. Ich werde das mit dem Einsatzleiter vor Ort klären.« Die Stimme des Mannes klang bei weitem nicht mehr so selbstsicher wie in den Stunden
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