Oktoberfest
Zeit?«
»Nein, Herr Oberbürgermeister.« Der Staatssekretär blickte ihm direkt in die Augen. Er fuhr in einem übertrieben geduldigen Tonfall fort, als spreche er mit einem begriffsstutzigen Kind. »Die Bundesregierung verschickt vielmehr zur Stunde Einladungskarten an das Gesindel in aller Welt. Die sollen alle herkommen und unser Land beklauen. Alleinerziehende schwarze Witwen können ab jetzt Waisengeld für ihre Kinder beantragen, bevor sie den Sprengstoffgürtel zünden. Da haben wir überhaupt kein Problem damit. Und natürlich dürfen die Täter das Oktoberfest mit zwei Milliarden Euro Beute unbehelligt verlassen. Die muss letztendlich ja sowieso der Steuerzahler aufbringen. Vielleicht sollten wir beide persönlich den Tätern noch ein paar Brote für die Heimreise schmieren. Die sind bestimmt hungrig nach so einem anstrengenden Unternehmen.«
Der Oberbürgermeister war in seinem Stuhl zusammengesunken. Er hatte den Blick gesenkt und sprach nur leise. »Entschuldigen Sie, Herr Dr. Frühe. Das war eine unbedachte Äußerung. Ich dachte nur an die Risiken, die mit einer Erstürmung verbunden sind. Ich habe an das Leben der Geiseln gedacht.«
Der Staatssekretär nickte kurz. »Das ist Ihr gutes Recht und Ihre schwere Pflicht, lieber Herr Oberbürgermeister.«
Dann ließ er seinen Blick durch die Runde schweifen, bis er am Gesicht des Ministerpräsidenten hängenblieb. »Ad zwei: Stabilisierung der Situation. Lassen Sie uns zum Kleinkram kommen. Wie sieht die polizeiliche Operationslage im Stadtgebiet aus?«
»Hat sich seit der Ansprache des Oberbürgermeisters stark verbessert. Im Moment sieht es so aus, als hätte sich die Lage zumindest in den Außenbezirken wieder normalisiert. Auch der Verkehr in der Innenstadt nimmt ab. Wir sind allerdings etwas knapp an Personal. Wir werden ja auch in der Nacht starke polizeiliche Präsenz in der ganzen Stadt brauchen. Die Menschen sind sehr verunsichert«, fasste der bayerische Regierungschef die Situation zusammen.
Roland Frühe sah daraufhin den Oberbürgermeister wieder an und nickte ihm aufmunternd zu. »Ja, ja, Ihre Ansprache vorhin habe ich gehört. Das war richtig gute Arbeit. Meinen Respekt. Dass Sie bereits heute Morgen Messergebnisse verfügbar hatten, die sie vorlegen konnten, hat uns eine Menge Ärger erspart. Da war jemand auf Draht.« Er nahm eine Akte zur Hand und schlug sie auf. »Ich habe hier die Verfügbarkeitslisten der Bereitschaftspolizei des gesamten Bundesgebietes. Wir müssen mal sehen, wie wir das hinbekommen. Haben Sie eine konkrete Vorstellung, wie viel zusätzliche Kräfte wir hier noch brauchen werden?«
Da meldete sich der Präsident des LKA zu Wort.
»Ich hätte noch eine andere Frage, Herr Dr. Frühe. Wenn Sie gestatten?« Er räusperte sich. »Reine Neugier. Wie will sich die GSG 9 denn dem Zelt nähern?« Gespannt sah er den Staatssekretär an.
Der blickte nicht einmal von seiner Akte auf. »Das geht Sie zwar nichts an, aber warum soll ich es Ihnen nicht sagen?« Staatssekretär Dr. Roland Frühe hob den Blick und lächelte milde. »Gewissermaßen als vertrauensbildende Maßnahme.« Er machte eine dramatische Pause, bevor er weitersprach. »Die Männer gehen durch die Kanalisation. Mit ABC-Schutzausrüstung und Black-Hole-Anzügen«, sagte Frühe in die erwartungsvolle Stille hinein.
»Was sind denn Black-Hole-Anzüge?«, fragte der LKA-Präsident nach. Davon hatte er noch nie gehört.
»Ihre Neugier in Ehren, aber das geht Sie nun wirklich nichts an.«
*
Irgendwo war ihm der Mann schon einmal begegnet. Diese Augen vergaß man nicht so schnell. Merkwürdige Augen, die ein Eigenleben zu haben schienen.
»Ich komme mit. Das ist mein letztes Wort. Basta! Wenn Sie bezweifeln, dass ich die nötigen Kompetenzen dafür habe, dann rufen Sie den BKA-Präsidenten an. Oder von mir aus auch den Bundeskanzler persönlich.«
Wo hatte er diesen lodernden Blick schon einmal gesehen? Hartmut Rainer versuchte, sich zu erinnern. Denn eines wusste der Kommandeur der GSG 9 mit ziemlicher Sicherheit: Dieser Herr Müller war nicht vom BKA.
Er kannte alle hohen Ermittlungsbeamten. Außerdem war der Mann mit einer Glock bewaffnet. Er hatte die charakteristische Form der Waffe erkannt, als Herr Müller sich über den Plan der Kanalisation gebeugt hatte. Diese Waffe wurde nur von Spezialeinheiten verwendet. Doch all diese Erkenntnisse nützten Hartmut Rainer im Moment herzlich wenig.
Tatsache war: Er hatte diesen Müller an der Backe.
Der war
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