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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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Mutter verletzt werden muß.

    Es ist ja eine unwürdige Verhaltensweise, daß ich jedesmal, wenn ich nicht in die Schule gehen will, krank spiele. Besonders irr wird die Sache noch dadurch, daß meine Familie das gemogelte Kranksein durchschaut. Bis auf Tante Fee.
    Die ist so naiv, die glaubt einfach alles. Sie wundert sich nur über meine merkwürdige Konstitution und stellt Überlegungen an, wieso ich bei Krankheiten, die üblicherweise mit Fieber einhergehen, konstante 36,8 Körpertemperatur aufweise.
    Oft habe ich mir schon vorgenommen, das unwürdige Spiel nicht mehr zu betreiben, sondern im Bedarfsfalle schlicht zu sagen, daß ich keinen Bock auf die Schule habe und ihr deshalb fernbleiben werde, doch dann würden meine Hausdamen sauer reagieren. Sie wollen immer das letzte Wort haben und sich als Erzieher meiner Person fühlen. Daß ein Vierzehnjähriger das Maß seiner schulischen Anwesenheit selbst bestimmt, erscheint ihnen unmöglich. Das schaut ihnen nach Verlotterung aus. Von da bis zum Ausflippen, meinen sie angstbesetzt, sei es nur ein winziger Schritt.
    Außerdem würden meine Schwestern Stunk machen. Die beobachten meine Aufzucht sowieso mit Argusaugen und motzen dauernd, daß sie in meinem Alter wesentlich weniger »liberal« traktiert worden sind und daß ihnen viel nicht gestattet war, was mir erlaubt ist.
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    So spielte ich eben auch diesmal wieder das unwürdige Spiel. Eine Darmgrippe dachte ich mir aus. Die ist zwar aufwendiger zu inszenieren als Halsweh, dafür läßt sich der kranke Körperteil nicht so leicht inspizieren wie ein roter Hals. Um halb sieben setzte ich mich mit etlichen Zeit-schriften auf den Lokus und widmete mich einer hochinter-essanten Story über »Gewalt gegen Eltern«, in der gejam-mert wurde, daß sich in letzter Zeit die Fälle von Eltern-mißhandlung mehren, weil die alten Werte ins Wanken geraten. Ich finde das ja typisch! Pro anno kommen im Lande höchstens zwei abgemurkste Elternteile auf tausend an Mißhandlungen gestorbener Kinder. Aber sichtlich erregen zwei tote Erwachsene die Zeitungen mehr als tausend Kindsleichen.
    Dies bedenkend, hockte ich auf der Klomuschel. Sooft sich Schritte der Klotür näherten, stöhnte ich. Wenn sich die Türklinke bewegte, rief ich klagend: »Ich hab den Dünnschiß, ich kann nicht weg!« Dann stöhnte ich weiter, bis die Schritte dem unteren Klo zu verhallten. Zwischen-durch zog ich mehrmals die Spülung bis zum Anschlag. Und das Klofenster machte ich auf, damit die Andrea nicht - wie schon einmal - behaupten kann, mein Bauchweh sei gemogelt, weil Bauchweh mit Gestank einhergehe und das Klo keinen Deut üblen Geruches aufweise.
    Kurz vor ihrem Abmarsch fragte die Mama durch die Klotür an, ob sie den Brummer, unseren Hausarzt, herbestellen solle. Das lehnte ich stöhnend ab. Die Oma trug mir, während sie nach ihren Autoschlüsseln suchte, auf, über den Tag verteilt, dreimal zwei Kohletabletten zu schlucken und ja nichts zu essen. Das gelobte ich stöhnend.
    Um halb acht Uhr waren endlich alle, bis auf Fee, aus dem
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    Haus. Ich zog noch einmal die Spülung und wankte in mein Zimmer. Ich wankte echt, weil mir beim langen Hocken ein Bein eingeschlafen war.
    Tante Fee brachte mir Kamillentee und Tabletten. »Blaß schaust aus, Olferle«, sagte sie und streichelte mir über den Kopf. »Tut's Baucherl sehr weh?«
    Ich schüttelte den Kopf. Fee schaute mich gerührt an. Du tapferer, kleiner, Schmerz verbeißender Held, hieß ihr Blick. Ich bat Fee, auf meiner Bettkante Platz zu nehmen.
    Geschmeichelt setzte sie sich. Die Vergünstigung, länger als unbedingt nötig an meiner Seite weilen zu dürfen, wurde ihr nicht oft zuteil. Ich lächelte der Tante matt, aber lieb zu, denn ich brauchte ihr uneingeschränktes Tantenwohl-wollen. In den sehr frühen Morgenstunden, gleich zu Beginn der Denkarbeit, die ich mir für diesen Tag vorgenommen hatte, war mir etwas klar geworden: daß es eine Frechheit ist, mir meinen leiblichen Vater zu verschweigen!
    Warum ich das erst im Alter von vierzehn Jahren und ein paar Monaten feststellte, ist auch einigermaßen erklärbar, nur muß ich dazu etwas weiter ausholen:
    Als kleiner Knirps habe ich natürlich oft nach einem Papa gegreint, einfach deshalb, weil die anderen Kinder auch einen hatten und nette Sachen von ihm erzählten. Doch sooft ich von der Mama einen Papa anforderte, sagte sie, daß nicht jeder im Leben alles haben kann und daß ich dafür zwei liebe Schwestern und zwei liebe

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