Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
Vom Netzwerk:
ich heim, nachdem ich die Joschi verlassen hatte. Ich machte einen Umweg, am Garten vom Jo vorbei. Kein Mensch war zu sehen. Im Haus, hinter vorgezogenen Gardinen, brannte Licht. Und der Garten war, so weit als möglich, in Ordnung gebracht.
    Am Montag wanderte ich relativ gelassen, mit einer erstklassigen Entschuldigung versehen, in die Schule. Die Entschuldigung war vom Dr. Brummer. Der erweist der Mama
    - 95 -
    gern so kleine Gefälligkeiten. Einen Heiratsantrag hat er ihr auch schon gemacht.
    Der Axel, der neben mir zur Schule trottete, erzählte mir, daß er Nachricht vom Jo habe. Die Großeltern waren deswegen aufgetaucht, weil ein Nachbar bei ihnen angerufen hatte. Und der Vater vom Jo, sagte der Axel, wolle von den Partygästen Schadenersatz verlangen für zwei geknickte Spalierbäume, sechzig verwüstete Tulpen, vier Trinkgläser, drei Quadratmeter Küchentapete und achtzehn Reinigungs-stunden.
    Diese gräßliche Information hatte nicht nur der Axel. Die ganze Belegschaft redete darüber, als wir in die Klasse kamen. In drei Gruppen, mit verschiedenen Meinungen, standen die Kollegen beisammen. Der Jo war bei keiner Gruppe. Der war nicht anwesend. Die eine Gruppe schob alle Schuld auf die paar Partygäste aus der anderen Klasse. Die zweite Gruppe, darunter waren die Anette und die Marion, leugnete überhaupt, daß nennenswerter Schaden entstanden sei. Und die dritte Gruppe, bei der war die Erbswurstsuppe, gab zu, daß der Samstagnachmittag eine einzige Sauerei gewesen sei, an der sie jedoch keine Schuld gehabt hatten.
    Bevor ich mich einer Gruppe zugesellen konnte, klingelte es, und das Mathe-Suserl, pünktlich wie immer, stampfte in die Klasse und rief »Ruhe«.
    Die Belegschaft wanderte zu ihren Stammplätzen, aus dem Gebrüll wurde Gemurmel, das auch rasch verebbte. Ich ging zum Suserl und überreichte ihm den Dr. Brummer-Wisch.
    Das Mathe-Suserl sagte, es sei bedauerlich, daß gerade ich eine Woche versäumt habe, weil übermorgen die Wiederholung der Mathe-Schularbeit sei. Ich möge, schlug sie vor,
    - 96 -
    gleich draußen bei ihr bleiben, sie wolle heute Beispiele für die Schularbeit durchrechnen, alles nur Wiederholungen, nicht den Stoff der letzten Woche betreffend. Da müsse ich ja mitkommen! Gelassen nahm ich die Kreide. Ich fühlte mich fit. Gestern noch hatte ich der Tante Lieserl fünf Textbeispiele mit zwei Unbekannten erläutert und war von Doris gelobt worden, weil ich gewußt hatte, daß die Wert-menge einer Funktion eine Teilmenge der Zielmenge ist und daß eine Funktion durch eine Funktionsgleichung und eine Urmenge festgelegt ist. (Womit ich nicht meine, daß ich diese Weisheiten kapiert hatte, ich hatte sie bloß artig auswendig gelernt.)
    Das Mathe-Suserl setzte sich zum Lehrertisch und holte ihr rosa Heftlein heraus und trug mir eine lange Geschichte von einem Motorradfahrer vor, der in Linz wohnt, und von einem Radfahrer aus Lambach, die gleichzeitig von zu Hause abfahren und einander nach dreißig Minuten treffen. Zuerst hörte ich aufmerksam zu, wie aber dann die zwei einspuri-gen Verkehrsteilnehmer nicht mehr aufeinander zurollten, sondern hintereinander Salzburg anpeilten, und der Motorradfahrer den Radler nach achtundvierzig Minuten überholte, schaltete ich ab. Ich hatte in der häuslichen Lernwoche einigermaßen kapiert, wie man Äpfel und Birnen und zu-fließendes Wasser und Stundenlöhne berechnet. Autos und Zweiräder - auch wenn Doris behauptet, da sei kein Unterschied - schaffe ich einfach nicht! Meine kleinen, grauen Zellen im Hirn können mit Zweirädern nichts anfangen.
    Ich legte die Kreide in die Schale zurück.
    »Aber Wolfgang, es ist doch ganz leicht!« sagte das Mathe-Suserl.
    - 97 -
    Das habe ich speziell gern, wenn man mir als Aufmunte-rung erklärt, daß ich nicht einmal die »ganz leichten« Sachen kapiere!
    »Na, fang mit einer Skizze an!« drängte das Mathe-Suserl.
    Mehr als einen Strich mit drei Punkten darauf, für Linz, Lambach und Salzburg, hätte ich der guten Frau nicht bieten können.
    »Dalli, dalli, wir haben nicht ewig Zeit!« Das Suserl wurde ungeduldig. Da zeichnete ich zwei Kreise, eng nebeneinan-der, auf die Tafel.
    »Warum machst du Kreise?« fragte das Suserl.
    »Das wird das Motorrad, bitte«, sagte ich. Und grinste. Dabei war mir gar nicht nach Grinsen. Nichts gelernt haben und nichts können, ist zu ertragen. Aber eine Woche emsig gelernt haben und wieder nichts können, das ist deprimie-rend. Und ich neige dazu, im Falle von

Weitere Kostenlose Bücher